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6. Rezeptionen und Wirkungen
Krauss hatte das „falsche Gewissen“ zum Gegenstand seiner Predigt gewählt
und folgte damit motivisch der bereits vorgestellten Adventspredigt von
Bourdaloue und jener Thiebaults von der „fausse conscience“. Ein falsches
Gewissen, so der Österreicher, erwachse aus Begierden und dem Streben nach
Vorteilen - zwei bereits für sich genommen verabscheuungswürdigen Ursa-
chen.649 Noch gefährlicher als diese seien aber die Wirkungen eines falschen Ge-
wissens: So gebe es zum ersten nichts Böses, das man mit einem falschen Gewis-
sen nicht begehen könne; zum zweiten würde man dieses Böse mit falschem
Gewissen auch „ungescheut und ruhig“ begehen; zum dritten schließlich begehe
man auch „ohne Hoffnung einer Besserung“ die größten Sünden. Zur Illustra-
tion solcherart Bosheit dienen Krauss die Juden, die den „Urheber des Lebens“
getötet hätten.650 Ein derartiges falsches Gewissen, so schloss der Prediger, be-
nenne der heilige Bernhard darum mit Recht „einen unerschöpflichen Abgrund
von Sünden“. Die Tiere in ihm seien „alle die Begierden, Schändlichkeiten und
Laster, welche in den Tiefen eines falschen Gewissens erzeugt werden.“651
Von diesem ersten Zitat aus dem Traktat Von den vier Arten der Gewissen
kommt Krauss auch rasch zum Motiv selbst, denn: „Nachdem es nichts Böses
gibt, daß man nicht mit einem falschen Gewissen begehen könnte; so begeht man
es auch ruhig und ohne Scheu.“652 Der Weg von der Möglichkeit zur Verwirkli-
chung ist hier für den Prediger ein nur kurzer und offenbar zwangsläufiger.
Durch diese Nivellierung der Grenzen zwischen Denkmöglichem, Wollen und
Handeln, wird von Krauss ein außerordentlich negatives Menschenbild evo-
ziert, das in vielerlei Hinsicht gegenüber seinem dem 12. Jahrhundert entstam-
menden Referenztext nicht nur als unterkomplex erscheint, sondern zugleich
eine für De quattuor modis conscientiarum zentrale Botschaft - nämlich die der
Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen - außer Betracht lässt:
„Der heilige Bernard stellt vier Gattungen von Gewissen auf. Das erste ein gutes,
friedliches, welches ein Vorgeschmack der Seligkeit ist; das zweyte ein leidendes
Gewissen, womit Gott die Herzen reinigt; das dritte ein böses Gewissen, welches
die Unordnung und Marter der Hölle in sich trägt, aber doch noch gerettet werden
kann; das vierte ist aber das schrecklichste, es ist das falsche Gewissen, welches bey
seinen Sünden in Frieden lebt. Bey diesem falschen Gewissen gibt es nichts als Fins-
ternisse. Innerliche Finsternisse des Verstandes, welche die Abscheulichkeit des
Lasters verhüllen, und innerliche Finsternisse des Herzens, welche dem Strahl der
Gnade und des Schmerzes den Eingang verwehren.“653
649 Ebd., n° 3.1, S. 15-7.
650 Ebd., n° 3.2, S. 17.
651 Ebd.
652 Ebd., S. 18.
653 Ebd.
6. Rezeptionen und Wirkungen
Krauss hatte das „falsche Gewissen“ zum Gegenstand seiner Predigt gewählt
und folgte damit motivisch der bereits vorgestellten Adventspredigt von
Bourdaloue und jener Thiebaults von der „fausse conscience“. Ein falsches
Gewissen, so der Österreicher, erwachse aus Begierden und dem Streben nach
Vorteilen - zwei bereits für sich genommen verabscheuungswürdigen Ursa-
chen.649 Noch gefährlicher als diese seien aber die Wirkungen eines falschen Ge-
wissens: So gebe es zum ersten nichts Böses, das man mit einem falschen Gewis-
sen nicht begehen könne; zum zweiten würde man dieses Böse mit falschem
Gewissen auch „ungescheut und ruhig“ begehen; zum dritten schließlich begehe
man auch „ohne Hoffnung einer Besserung“ die größten Sünden. Zur Illustra-
tion solcherart Bosheit dienen Krauss die Juden, die den „Urheber des Lebens“
getötet hätten.650 Ein derartiges falsches Gewissen, so schloss der Prediger, be-
nenne der heilige Bernhard darum mit Recht „einen unerschöpflichen Abgrund
von Sünden“. Die Tiere in ihm seien „alle die Begierden, Schändlichkeiten und
Laster, welche in den Tiefen eines falschen Gewissens erzeugt werden.“651
Von diesem ersten Zitat aus dem Traktat Von den vier Arten der Gewissen
kommt Krauss auch rasch zum Motiv selbst, denn: „Nachdem es nichts Böses
gibt, daß man nicht mit einem falschen Gewissen begehen könnte; so begeht man
es auch ruhig und ohne Scheu.“652 Der Weg von der Möglichkeit zur Verwirkli-
chung ist hier für den Prediger ein nur kurzer und offenbar zwangsläufiger.
Durch diese Nivellierung der Grenzen zwischen Denkmöglichem, Wollen und
Handeln, wird von Krauss ein außerordentlich negatives Menschenbild evo-
ziert, das in vielerlei Hinsicht gegenüber seinem dem 12. Jahrhundert entstam-
menden Referenztext nicht nur als unterkomplex erscheint, sondern zugleich
eine für De quattuor modis conscientiarum zentrale Botschaft - nämlich die der
Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen - außer Betracht lässt:
„Der heilige Bernard stellt vier Gattungen von Gewissen auf. Das erste ein gutes,
friedliches, welches ein Vorgeschmack der Seligkeit ist; das zweyte ein leidendes
Gewissen, womit Gott die Herzen reinigt; das dritte ein böses Gewissen, welches
die Unordnung und Marter der Hölle in sich trägt, aber doch noch gerettet werden
kann; das vierte ist aber das schrecklichste, es ist das falsche Gewissen, welches bey
seinen Sünden in Frieden lebt. Bey diesem falschen Gewissen gibt es nichts als Fins-
ternisse. Innerliche Finsternisse des Verstandes, welche die Abscheulichkeit des
Lasters verhüllen, und innerliche Finsternisse des Herzens, welche dem Strahl der
Gnade und des Schmerzes den Eingang verwehren.“653
649 Ebd., n° 3.1, S. 15-7.
650 Ebd., n° 3.2, S. 17.
651 Ebd.
652 Ebd., S. 18.
653 Ebd.