6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen
383
g) Moderne
Das bereits seit dem 18. Jahrhundert langsam versiegende Interesse an einer
Denkart, für die Name und Werk Bernhards von Clairvaux als prototypisch
standen, erfuhr auch in der folgenden Zeit keinen neuen Impuls. Stattdessen kam
es im Anschluss an vor allem aus der katholischen Aufklärungstradition erwach-
senden Tendenzen zu einer Historisierung und damit einhergehend auch einem
Streben nach Purifizierung des literarischen Erbes der Vita religiosa. Im Zuge
dieser neuen Beschäftigung wurden nicht nur die großen Figuren mit Studien
oder Editionen ihrer Werke gewürdigt, sondern daneben sind ebenso Bemühun-
gen erkennbar, auch das geistige Umfeld der bekannten Protagonisten zu er-
schließen und nicht zuletzt psychologische Fragen in den Blick zu nehmen.679
Solche Bestrebungen entsprangen dabei insbesondere aus jenen benediktini-
schen Gemeinschaften, die sich selbst als Bewahrer dieses Erbes verstanden und
sich dabei zugleich auch in die intellektuellen Traditionen ihrer Vorläufer des
16. und 17. Jahrhunderts zu stellen suchten.680 Dabei blieben jedoch gerade die
für diese Arbeit im Fokus stehenden Texte trotz ihrer Präsenz in zahlreichen
Druckausgaben außen vor. Zu dominant waren zum einen die neoscholastischen
Prägungen innerhalb der philosophischen und theologischen historischen For-
schung. Selbst noch Odon Lottin ging in seinem monumentalen sechsbändigen,
zwischen 1942 und 1960 erschienenem Werk über Psychologie et morale aux XIIe
et XIIIe siecles auf keinen jener vielen ps.-bernhardischen oder ps.-hugonischen
Texte ein, obwohl sie für eben dieses Thema von herausragender Bedeutung
gewesen wären.681 Zum anderen machte sich nun der Umstand bemerkbar, dass
diesen Texten nach den Purifizierungen der Werke eines Bernhard von Clair-
vaux, Hugo von St. Viktor, Bonaventura oder vieler anderer durch die histo-
risch-philologische Forschung ein identifizierbarer Autor fehlte, wodurch sie
679 Einer der ersten Schwerpunkte war hier der Bereich der Askese; vgl. z. B. die 1863 in erster und
1897 in stark erweiterter Auflage erschienene Studie von O. Zöckler, Askese und Mönchtum
oder den 1927 veröffentlichten Band von U. Berliere, L’ascese benedictine.
680 Zu nennen sind hier vor allem die Benediktinerabtei Beuron sowie die von hier aus gegründeten
oder beeinflussten Abteien, darunter das Prager Emauskloster, das belgische Maredsous
und das Eifelkloster Maria Laach. Zur intellektuellen Prägung wie Bedeutung Beurons vgl.
A. Sohn, Beuron, S. 105-7, 118-20. Die liturgische Rückbesinnung auf die Traditionen der
Kirchengeschichte ging wesentlich von Solesme und seinem Abt Prosper Gueranger aus, mit
dem Beuron seit Anbeginn in engem Kontakt stand. Vgl. zur liturgischen Renaissance
G.-M. Oury, Dom Prosper Gueranger, S. 547-58, zum Kontakt zwischen Solesme und Beuron
ebd., S. 506-15. Zur Relevanz historischer Studien für Dom Gueranger und die von ihm ange-
stoßene benediktinische Erneuerungsbewegung vgl. L. Soltner, Solesmes, S. 157-71. Eine
Übersicht zur historischen Forschung benediktinischer Gelehrter vom 17. bis zum 20. Jh. jetzt
im von Andreas Sohn herausgegebenen Band Benediktiner als Historiker.
681 Das Motiv der vier Gewissenarten selbst war ihm bekannt, vgl. oben S. 70, Anm. 53.
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g) Moderne
Das bereits seit dem 18. Jahrhundert langsam versiegende Interesse an einer
Denkart, für die Name und Werk Bernhards von Clairvaux als prototypisch
standen, erfuhr auch in der folgenden Zeit keinen neuen Impuls. Stattdessen kam
es im Anschluss an vor allem aus der katholischen Aufklärungstradition erwach-
senden Tendenzen zu einer Historisierung und damit einhergehend auch einem
Streben nach Purifizierung des literarischen Erbes der Vita religiosa. Im Zuge
dieser neuen Beschäftigung wurden nicht nur die großen Figuren mit Studien
oder Editionen ihrer Werke gewürdigt, sondern daneben sind ebenso Bemühun-
gen erkennbar, auch das geistige Umfeld der bekannten Protagonisten zu er-
schließen und nicht zuletzt psychologische Fragen in den Blick zu nehmen.679
Solche Bestrebungen entsprangen dabei insbesondere aus jenen benediktini-
schen Gemeinschaften, die sich selbst als Bewahrer dieses Erbes verstanden und
sich dabei zugleich auch in die intellektuellen Traditionen ihrer Vorläufer des
16. und 17. Jahrhunderts zu stellen suchten.680 Dabei blieben jedoch gerade die
für diese Arbeit im Fokus stehenden Texte trotz ihrer Präsenz in zahlreichen
Druckausgaben außen vor. Zu dominant waren zum einen die neoscholastischen
Prägungen innerhalb der philosophischen und theologischen historischen For-
schung. Selbst noch Odon Lottin ging in seinem monumentalen sechsbändigen,
zwischen 1942 und 1960 erschienenem Werk über Psychologie et morale aux XIIe
et XIIIe siecles auf keinen jener vielen ps.-bernhardischen oder ps.-hugonischen
Texte ein, obwohl sie für eben dieses Thema von herausragender Bedeutung
gewesen wären.681 Zum anderen machte sich nun der Umstand bemerkbar, dass
diesen Texten nach den Purifizierungen der Werke eines Bernhard von Clair-
vaux, Hugo von St. Viktor, Bonaventura oder vieler anderer durch die histo-
risch-philologische Forschung ein identifizierbarer Autor fehlte, wodurch sie
679 Einer der ersten Schwerpunkte war hier der Bereich der Askese; vgl. z. B. die 1863 in erster und
1897 in stark erweiterter Auflage erschienene Studie von O. Zöckler, Askese und Mönchtum
oder den 1927 veröffentlichten Band von U. Berliere, L’ascese benedictine.
680 Zu nennen sind hier vor allem die Benediktinerabtei Beuron sowie die von hier aus gegründeten
oder beeinflussten Abteien, darunter das Prager Emauskloster, das belgische Maredsous
und das Eifelkloster Maria Laach. Zur intellektuellen Prägung wie Bedeutung Beurons vgl.
A. Sohn, Beuron, S. 105-7, 118-20. Die liturgische Rückbesinnung auf die Traditionen der
Kirchengeschichte ging wesentlich von Solesme und seinem Abt Prosper Gueranger aus, mit
dem Beuron seit Anbeginn in engem Kontakt stand. Vgl. zur liturgischen Renaissance
G.-M. Oury, Dom Prosper Gueranger, S. 547-58, zum Kontakt zwischen Solesme und Beuron
ebd., S. 506-15. Zur Relevanz historischer Studien für Dom Gueranger und die von ihm ange-
stoßene benediktinische Erneuerungsbewegung vgl. L. Soltner, Solesmes, S. 157-71. Eine
Übersicht zur historischen Forschung benediktinischer Gelehrter vom 17. bis zum 20. Jh. jetzt
im von Andreas Sohn herausgegebenen Band Benediktiner als Historiker.
681 Das Motiv der vier Gewissenarten selbst war ihm bekannt, vgl. oben S. 70, Anm. 53.