Metadaten

Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0390
License: Free access  - all rights reserved
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
7. SCHLUSSBEMERKUNGEN

Als die Cluniazenser im Jahr 1399 zum Generalkapitel zusammenkamen, be-
stimmten sie, dass ihr Ordensrecht von jedem „secundum Deum et conscientiam,
et beatissimi Benedicti regulam et alia regularia instituta, prout juris erit et ratio-
nis“ beachtet werden müsse.1 Sie benannten das Gewissen als eine zentrale norm-
setzende Instanz, die gleichberechtigt neben göttlichem und gesatztem Recht
stehen sollte. Seinen Entscheidungen wurde somit eine Verbindlichkeit zuge-
sprochen, die in keiner Weise mehr steigerbar war: Nicht nur galt die Benedikts-
regel für jeden, der die Profess vor dem Abt von Cluny abgelegt hatte, als abso-
lutes Richtmaß - auch die Gebote Gottes waren von einer Bindekraft, die
ihrerseits nicht höher sein konnte. Beiden rechtlichen Bezügen war gemeinsam,
dass jede Verletzung dieser Verpflichtung das Seelenheil ganz unmittelbar gefähr-
det hätte. Gleiches sollte, so legt es die cluniazensische Definition im Analogie-
schluss nahe, auch für die Verpflichtung des Menschen seinem Gewissen gegen-
über gelten: Nicht nur musste jede Nichtbefolgung des Gewissensurteils als
Verstoß gegen ein nun auch satzungsrechtlich verankertes Rechtsprinzip gelten,
sondern derjenige, der nicht seinem Gewissen folgte, gefährdete hierdurch auch
unmittelbar sein Seelenheil.
Ein solches Verständnis verweist in aller Deutlichkeit auf die seit dem 12. Jahr-
hundert stattgefundenen Rationalisierungsschübe innerhalb der Ethik, durch die
das Gewissen als ein verbindlich zu prüfendes Handlungskriterium Geltung er-
langt hatte. Formuliert fand sich diese Ansicht bereits bei Abelard, für den je-
des Handeln contra conscientiam Sünde war;2 andere, wie Thomas von Aquin,3
folgten dieser Denkweise. Aber auch außerhalb solcher institutioneller Sonder-
räume, wie Orden oder hohe Schulen sie darstellten, hatte sich das Gewissen als
„Letztinstanz“ etabliert, auf die man sich wie Jan Hus (f 1415) oder später
Martin Luther berufen konnte.4 Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung der
jährlichen Beichte im Jahr 1215, eine Fülle von gehaltenen Predigten und
1 G. Charvin, Statuts, Bd. 4, n° 376 (Generalkapitel, 1399, April, 20), S. 402.
2 Abelard, Scito te ipsum, ed. R. M. Ilgner, cap. 36f., 45, S. 222-6, 242 und Abelard, Expositio
in epistolam ad Romanos, ad 14.23, Bd. 3, S. 814, vgl. oben S. 32f.
3 Thomas von Aquin, De verdate, qu. 17, art. 4, arg. 9 und ad 9, ed. R. Busa, Bd. 3, S. 109 a, c.
4 Zu Jan Hus vgl. A. Patschovsky, Das Gewissen als Letztinstanz. Zu Martin Luther vor dem
Reichstag und seiner Berufung auf sein Gewissen vgl. L. Roper, Der Mensch Martin Luther,
S. 237-9. Zum Grundkonflikt vgl. die Beiträge im Sammelband von M. Delgado / V. Leppin /
V. Neuhold (Hgg.), Ringen um die Wahrheit.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften