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Historische und historisch-literarische Keilschrifttexte aus Assur

ihre Schätze geraubt und wie ein Stier die Bewohner zu
Boden gestoßen.“ 6

Und das Buch Nahum präsentiert, in der Form eines vaticinium
ex eventu, die Niederwerfung Ninives, der letzten assyrischen
Hauptstadt, im Tone unverhohlenen Triumphes (Nah. 3:1-4):

Weh der mörderischen Stadt, die voll Lügen und Räuberei
ist und von ihrem Rauben nicht lassen will. ... Da liegen
viele Erschlagene, eine Unzahl von Leichen; ihrer ist kein
Ende, so daß man über sie fallen muß. Das alles um der
großen Hurerei willen der schönen Hure, die ... mit ihrer
Hurerei die Völker und mit ihrer Zauberei Land und Leute
an sich gebracht hat.

Klassische Quellen, besonders die in den entsprechenden Partien
vor allem auf Ktesias basierende Universalgeschichte des
Diodor, 7 zeichnen ein ähnliches Bild, auch wenn hier in stärke-
rem Maße zugleich eine gewisse Bewunderung für Assyrien
durchscheint. Doch am meisten fasziniert auch die griechischen
und lateinischen Autoren der Kontrast zwischen der gewaltigen
Macht der Assyrer, die mit legendären Herrschergestalten wie
Ninos und seiner Gemahlin Semiramis verbunden wird, und
dem spektakulären Ende ihres Staates, einem Ende, für das, in
Abweichung von der biblischen Version, individuelles Versagen
in Gestalt der Verweichlichung und Überfeinemng des ver-
meintlich letzten assyrischen Königs, Sardanapals, verantwort-
lich gemacht wird. Assyrien hatte von Anfang an keine allzu
gute Presse.

* * *

Dank der biblischen und klassischen Berichte geriet die
Geschichte Assyriens auch nach dem Untergang des assyrischen
Reiches nicht in Vergessenheit; sie blieb - als ein frühes
Exemplum für den Aufstieg und Fall großer Mächte - im kultu-
rellen Gedächtnis des Abendlandes stets präsent. 8 Doch wurde
sie in der späteren Überliefemng nicht nur sehr kritisch darge-
stellt, sondern war auch mit Blick auf die assyrische Fmhzeit
weitenteils fiktiv. Denn die hebräischen und griechisch-römi-
schen Quellen zur assyrischen Geschichte waren eher trüb.
Lediglich Könige der spätassyrischen Zeit, angefangen mit
Tiglatpileser III. (744-727 v. Chr.), werden in der Bibel und in
klassischen Texten korrekt mit Namen benannt. 9 Nimrod und
Ninos, die nach biblischer bzw. klassischer Auffassung als

6 Zu Berührungspunkten zwischen der antiassyrischen Polemik im Jesaja-Buch
und der vor allem in Königsinschriften zum Ausdruck gebrachten assyrischen
Herrschaftsideologie siehe P. Machinist, JAOS 103 (1983), 719-37. Assyrien
wird von Jesaja freilich zugleich auch als ein Sanktionsinstrument in der Hand
Gottes betrachtet. In Jes. 10:5-6 etwa heißt es: „Wehe Assur, das meines Zor-
nes Rute und meines Grimmes Stecken ist! Ich sende es wider ein gottloses
Volk und gebe ihm Befehl wider das Volk, dem ich züme, es zu berauben und
auszuplündem und zu zertreten wie Dreck auf der Gasse."

7 Diodorus Siculus, Bibliotheke, Buch 2 (1-28). Für eine neue, kommentierte
Edition der bekannten Fragmente des Ktesias siehe D. Lenfant, Ctesias de
C.nide: La Perse. L'Inde. Autres fragments (2004).

8 So führt etwa Dante in „De Monarchia" die Herrschaft des assyrischen Königs
Ninos als ersten, freilich noch nicht wirklich erfolgreichen Versuch der Impe-
rienbildung an: „Primus namque in mortalibus qui ad hoc bravium anhelavit
Ninus fuit Assyriorum rex" (II 9).

9 Für die in der Bibel genannten assyrischen Könige siehe A. R. Millard, JSS

21 (1976), 9-13. Daß der in Hosea 10:14 genannte „Salman", wie verschie-

dentlich vermutet wurde, mit Salmanassar III. zu identifizieren ist, erscheint

eher fraglich. Der Name der in klassischen Quellen prominent figurierenden

Semiramis scheint auf den der Sammu-ramät, der Gemahlin Adad-närärls III.
(810-783), zurückzugehen.

Begründer der assyrischen Staates galten, sind dagegen rein
legendäre Figuren. 10 * Und nirgendwo ist in den Texten der judäo-
christlichen und antiken Tradition von der Stadt Assur die Rede,
obwohl diese doch den Anfangspunkt Assyriens darstellte, über
viele Jahrhunderte hinweg als dessen politisches und durch alle
Zeiten hindurch als sein religiöses Zentrum fungierte.

Dieses überraschende Schweigen der Quellen ist nicht etwa
als das Resultat einer bewußten damnatio memoriae zu werten.
Sein Grund ist vielmehr, daß Assur, lange das unangefochtene
Zentrum assyrischer Kultur und Staatlichkeit, nicht länger die
Hauptresidenz der assyrischen Könige war, als die assyrischen
Expansionsbestrebungen ihren Höhepunkt erreichten und die
östlichen Mittelmeerkulturen, deren Geschichtsschreibung das
historische Gedächtnis des Westens so nachhaltig prägen sollte,
mit Assyrien in Kontakt traten. Von dem Augenblick an, in dem
Assurnasirpal II. (883-859 v. Chr.) seinen Regiemngssitz von
Assur nach Kalhu (Nimrad) verlegte, dem später, unter Sargon
II. (721-705 v. Chr.), zunächst Dür-Sarrukln (Khorsabad) und
dann, unter Sanherib (704-681 v. Chr.), Ninive nachfolgen soll-
ten, verlor die Stadt Assur ihre herausragende politische Rolle
- und war damit für die Menschen in den von Assyrien unter-
jochten Staaten nicht mehr von so herausragendem Interesse.
Auch die fortdauernde religiöse Bedeutung der Stadt änderte
daran nichts. Die assyrischen Herrscher versuchten zu keinem
Zeitpunkt, die von ihnen unterjochten Völkerschaften zu zwin-
gen, den Gott Assur an die Stelle ihrer angestammten Gottheiten
zu setzen, und es ist bezeichnend, daß auch der assyrische
Götterherr in biblischen und klassischen Quellen nirgends
erwähnt wird.

Die Wiederentdeckung Assurs
und seiner historischen Texte

Als britische und französische Ausgräber Mitte des 19.
Jahrhunderts in den Ruinen von Nimrud, Ninive und Khorsabad
das eigentliche Assyrien wiederentdeckten, 11 konnten die bibli-
schen und klassisch-antiken Darstellungen der assyrischen
Geschichte zwar schon bald in unzähligen Einzelheiten koni-
giert und präzisiert werden, doch daran, daß über die vorimperi-
ale Phase Assyriens wenig bekannt war, änderte sich zunächst
nicht viel. Denn die Paläste und Tempel, die man in den genann-
ten Städten ausgrub, gehörten fast alle in die Zeit zwischen dem
9. und dem 7. Jahrhundert v. Chr.

Archäologische Sondagen wurden in den 40er und 50er
Jahren des 19. Jahrhunderts auch in Assur durchgeführt, dessen
Ruinen inzwischen den Namen Qal cat Sirqät trugen, und sie
erbrachten durchaus bedeutende Funde. Zu ihnen gehörten ein
1847 von A. H. Layard entdecktes eindmcksvolles Sitzbild des
Gottes Kidudu aus der Zeit Salmanassars III. (858-824 v. Chr.) 12
sowie ein 1853 von H. Rassam ausgegrabenes vollständig erhal-
tenes Exemplar der berühmten Prismeninschrift Tiglatpilesers I.
vom Anu-Adad-Tempel. 13 * Kopien dieser Inschrift wurden 1857

10 Im Falle Nimrods ist die Verbindung mit Assyrien wohl zudem noch auf einen
Übersetzungsfehler zurückzuführen. Vermutlich ist in Gen. 10:11 nicht, wie
später zumeist angenommen, von Nimrod die Rede, der nach „Assur” zieht,
um Ninive und andere Städte zu errichten, sondem davon, daß ein eponymer
Gründungsheros namens Assur die entsprechenden Städte erbaute.

11 Zur Geschichte der frühen Grabungen in Assyrien siehe M. Trolle Larsen,
The Conquest of Assyria.

12 A. K. Grayson, RIMA 3,102.25; zur ikonographischen Deutung siehe J. Rea-
de, BaM 17 (1986), 299f.

13 A. K. Grayson, RIMA 2, 87.1.
 
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