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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0203
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i6o

Eifersuchtswahn

Zusammenfassung: Eine Persönlichkeit, die von jeher mißtrauisch, zu Eigenbeziehungen
geneigt und leicht erregbar, aber tüchtig und intelligent war, immer hohes Selbstbewußtsein,
Optimismus und Unternehmungsgeist besaß, kommt auf sexuellem Gebiet, auf dem anschei-
nend Abnormitäten bestehen, zu schwereren psychopathologischen Störungen. Als junger
Mann gerät er infolge getäuschter sexueller Hoffnungen in einen sonderbaren erregten Zustand,
in zweiter Ehe quält er seine Frau unaufhörlich mit dem Vorwurf über abenteuerliche sexuelle
Vergehungen, die diese vor der Ehe sich habe zu schulden kommen lassen, Quälereien, die
schließlich zur Scheidung führen. In dritter Ehe bildet er alle Grenzen des Möglichen überstei-
gende Eifersuchtswahnideen über die vermeintliche andauernde eheliche Untreue der Frau. -
Leider konnte nicht eruiert werden, ob schon von Beginn der Ehe an (1895),352 oder erst in den
letzten Jahren die absurden Wahnideen auftraten. Da die Frau und andere nie von dem Beginn
130 des Leidens sprechen, ist es jedoch wahrscheinlich, daß sie immer vorhanden | waren, nur
zuletzt mehr hervortraten und ihn aktiver werden ließen, zumal er ähnlich unglaubliche Vor-
stellungen über sexuelle Verfehlungen der Frau schon in der früheren Ehe gehabt hatte. - Die
Genese des Wahns hält sich durchaus in den Grenzen der kombinatorischen Deutung. Er hat
nichts gesehen oder gehört, was dem objektiven Beurteiler direkt belastend erscheinen müßte,
wenn es wahr wäre. Nur eines ist gegenüber der Frau Fischer bemerkenswert. Er behauptet, seine
Frau habe versucht, ihn durch Chloroform zu betäuben, und er habe öfters »morgens eine
dunkle Erinnerung gehabt, als ob seine Frau nachts aus dem Hause gegangen sei.«
Diese beiden Fälle glauben wir wiederum als ähnlich zusammennehmen und unse-
ren beiden ersten gegenüberstellen zu können. Gemeinsam ist:
1. Eine langsame Entwicklung aus dauernden Eigenschaften und Trieben der Per-
sönlichkeit (u.a. die sexuelle Abnormität des Pfarrers).
2. Der Ausbruch schwerer Wahnbildungen knüpft sich verständlich und zu wie-
derholten Malen an neue Anlässe: Die immer neuen sexuellen Verhältnisse des Pfarrers,
das klimakterische Verblühen und besonders das Ausbleiben des geschlechtlichen Ver-
kehrs wegen Beckengeschwulst bei der Frau Fischer. In beiden Fällen wurde gelegent-
lich völlige Dissimulation versucht.
3. Es fehlen gegenüber den ersten beiden Fällen die Anfänge von Verfolgungsideen,
die unruhevollen, erregten, ängstlichen Zustände, die bei jenen - allerdings nur ein-
mal in relativ beschränkter Zeitspanne - auftraten. Es fehlen die Vergiftungsversuche
und die plastischen Erzählungen vermeintlich erlebter Ereignisse.
4. Es findet sich keine begrenzte Zeitspanne, in der unter Begleitung anderer Erschei-
nungen (vermeintliche Vergiftungszustände, Unruhe, Verfolgungsideen usw.) die
Wahnbildung vor sich geht, die dann konstant bleibt. Sondern die Wahnbildungen hal-
ten sich an die jeweiligen Erlebnisse und werden nicht mit solcher Genauigkeit festge-
halten. Es finden sich ferner immer neue Anknüpfungspunkte für dieselben.
Es liegt nahe, einen Vergleich unserer Fälle von Eifersuchtswahn mit der einzigen
Krankheitsgruppe, die »inhaltlich« bezeichnet wird, dem Querulantenwahn durchzu-
führen. Stellen wir ganz kurz nach der Literatur die Arten von Querulanten zusammen,
so haben wir schematisch folgende:
 
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