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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0213
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Eifersuchtswahn

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von seiner eigenen Wertschätzung als Christ sehr durchdrungen ist. Er scheute sich nicht, den
Geistlichen selbst Vorhaltungen zu machen in der Meinung, daß auch sie noch gebessert wer-
den müßten.« Seine Frau: »Zu den Angestellten war er meist sehr heftig und konnte nur schwer
Leute (1892) im Geschäft halten.«
Seit 1887 verheiratet, 3 gesunde Kinder. Er gibt an, er habe immer viel Streit im Hause gehabt,
da die Frau habe kommandieren wollen. Es sei oft vorgekommen, daß sie nicht ordentlich
geputzt habe und daß sie auch ihre Pflichten vernachlässige. Die Frau erklärt ihn als von jeher
aufgeregt und jähzornig, sie habe viel zu leiden gehabt, er habe sie sogar geschlagen und zuletzt
getreten.
Nach der Angabe der Frau ist ihr Mann von jeher eifersüchtig gewesen. Der langjährige Haus-
arzt weiß jedoch erst seit 1897 davon. (Er hat den Mann vorher an Lungenentzündung und gele-
gentlich an Magenbeschwerden behandelt.) Seitdem klage die Frau, daß ihr Mann aggressiv
gegen sie werde und sie mit Ausdrücken beschimpfe, die ihrer weiblichen Ehre nahe treten. Die
Frau erzählt, daß ihr Mann, während er früher ihr vorwarf, sie führe sich schlecht auf, um Pfing-
sten 1898 soweit ging, die Behauptung aufzustellen, das zweite Kind sei nicht von ihm. 1899
nannte er sogar eine bestimmte Person, einen Vetter, als den Vater, und gab die Zeit an, zu der
seine Frau sich mit diesem eingelassen haben solle. Im Sommer 1899 warf er ihr einmal den Ring
an den Kopf, wollte sie mit einem Eimer Wasser übergießen, »damit sie einmal zu Verstände
käme« u. dgL Die Frau flüchtete. Im Oktober 1899 geriet er plötzlich nachts in große Aufregung,
riß seine Frau aus dem Bett und schlug sie, indem er äußerte, er werde ihr die Hurerei schon aus-
treiben. Aus Angst flüchtete die Frau einige Tage zur Schwägerin. Als sie auf Zureden des Pastors
zu ihrem Manne zurückkehrte, nahm dieser sie zuerst freundlich auf, begann aber bald wieder
mit seinen Verdächtigungen. Es kam wieder zu Mißhandlungen. Seine ständige Redensart war,
seine Frau sei ihm immer mehr ein Fragezeichen, jetzt erst ginge ihm ein Licht auf. Als er hörte,
daß sie beim Pastor war, behauptete er, daß sie mit diesem unerlaubten Umgang hätte. Er drohte
mit der Staatsanwaltschaft, wenn sie nicht eingestehe. Diese Angaben der Frau werden ergänzt
durch den Hausarzt: Seit ca. September 1899 traten allmählich Krankheitserscheinungen auf:
K. litt an Schlaflosigkeit, war tagsüber äußerst erregt, litt an Störungen der Verdauung. Sein Ver-
halten seiner Frau gegenüber war wechselnd, meist schimpfte er sie als Hure aus u.a., vergriff
sich auch wohl tätlich an ihr. Dann nahte er sich wieder und hatte häufigen Drang zum
geschlechtlichen Verkehr. In der letzten Woche Verschlimmerung. Beschuldigte den Pastor des
139 geschlechtlichen Verkehrs mit seiner Frau. Er habe dies aus der Zerrissenheit der Ge|schlechtsteile
seiner Frau erkannt. Seine Menschenkenntnis könne ihn nicht täuschen. Der Pastor habe unrei-
nen Ausschlag auf der Stirn. Er ging zur Polizeibehörde, um die Sache gegen den Pastor anhän-
gig zu machen. Seine Frau sei ihm stets untreu gewesen, seine zwei Kinder seien nicht von ihm.
Vom Arzte suchte er ein Attest zu erlangen, um Strafantrag gegen den Pastor stellen zu können.
Dabei ist er auch körperlich verfallen, meist schlaflos. Keine körperlichen Symptome (genaue
Untersuchung), auch keine Genitalleiden.
Dezember 1899 wurde er in die Irrenanstalt aufgenommen. Er war in reduziertem Ernäh-
rungszustand, leicht erregbar, hatte gesteigerte Reflexe, schlief schlecht. Orientiert, geordnet.
Eingehende Auskunft über seinen Eifersuchtswahn (eingehend bei Brie). Besonders verdäch-
tig war ihm, daß »die Geschlechtsteile herausgezogen« waren, daß der Pastor äußerte: »Sie haben
doch eine so liebe Frau« und daß die Frau erzählte, der Pastor habe gesagt: »O lieb so lang du lie-
ben kannst«368 u. dgl. - Allmählich wurde er ruhiger, erholte sich körperlich, nahm 10 Pfund zu.
Der Schlaf wurde regelmäßig. Während er in der Anstalt war, setzte nach seiner Meinung die
 
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