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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0222
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Die Methoden der Intelligenzprüfung und der Begriff der Demenz

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sich ein Urteil über die Intelligenz zu bilden, wozu auch das allgemeine Verhalten den
übrigen Fragen gegenüber Anhaltspunkte bot. Das Resultat seiner Untersuchungen war
sehr überraschend. Der Tiefstand des allgemeinen Wissens war so groß, wie ihn nie-
mand erwartet hatte.384 »Völliger Mangel an sozialer Orientierung, Unkenntnis der poli-
tischen Rechte, selbst in der sozialen Gesetzgebung«385 war nichts Ungewöhnliches; der
historische und geographische Horizont erwies sich als unglaublich eng. Über die
Hälfte wußte nicht richtig anzugeben, wer Bismarck war; ein paar Meilen vom Heimats-
dorf entfernt hörte die Orientierung auf. Man kann an Kenntnissen »fast nichts« erwar-
ten. Es kommen »alle Defekte auch bei Gesunden vor«.386 - Von Interesse ist es, zu wis-
sen, welche Fragen von allen 174 richtig beantwortet wurden; nur folgende: Zählen von
1-20, Aufzählen der Monate, der Wochentage, beliebiger Flüsse und Zeitungen, Angabe
der nächsten Bahnstation am Heimatsort. Alle behaupteten auch von Bismarck gehört
zu haben; nur 72 wußten, wer er war. Ferner kannten 172 die Himmelsrichtungen, 171
die Länge der Monate, 170 den Namen des Kaisers, 169 die Hauptstadt von Deutsch-
land, 166 rechneten richtig 20 + 38,164 kannten die Jahreszeiten usw. - Rodenwaldt
hat ferner bei seiner Prüfung jedesmal die Gesamtuntersuchungszeit notiert und fand
bei der | Zusammenstellung, daß durchweg große Defekte mit langen Untersuchungs-
zeiten Zusammentreffen. Bei denjenigen, die die auffallendsten Defekte und die größ-
ten Untersuchungszeiten hatten, habe er jedesmal erfahren, daß sie auch im Dienst als
dumm galten. Er schließt daraus, daß, wenn auch Wissen und Begabung nicht überein-
zubringen seien, doch nach den Tiefpunkten zu eine Übereinstimmung stattfinde. In
einer Tabelle wurden von ihm alle Fälle in einer Weise zusammengestellt, daß man den
Zusammenhang von Länge der Untersuchungszeit mit Wissensdefekt übersehen kann.
In jedem Falle ist noch notiert, ob das Urteil des Vorgesetzten nach einem Jahre »gut«,
»mittel« oder »schlecht« lautete. Von den sämtlichen 174 Fällen sind 85 als gut bezeich-
net (48%); von den 78 Fällen mit längster Untersuchungszeit und größtem Defekte 31
als gut (39%) (von mir gezählt). Hier trifft die von Rodenwaldt für die ganz schlech-
ten Fälle betonte Übereinstimmung von praktischer Fähigkeit, Wissensdefekt und
Untersuchungszeit also nicht mehr zu. - Für die Beurteilung der eigentlichen Intelli-
genz legt Rodenwaldt schließlich noch Gewicht auf das Verhalten bei der Antwort.
Eine schnelle Antwort »ich weiß nicht« betrachtet er als Orientierung über die eigenen
Defekte und als ein Zeichen von Begabung gegenüber den Fällen, die minutenlang ins
Leere stieren, ohne zu antworten. - In einem besonderen Abschnitt wird sich
Rodenwaldt über die Fehlerquellen seiner Untersuchungen klar. Die meisten (Ermü-
dung, Indolenz, Wirkung der Instruktionsstunde) kommen anscheinend nicht in
Betracht. Aber einen Faktor bemerkt Rodenwaldt, den man vielleicht noch mehr als
er in Rechnung ziehen muß: »Die Befangenheit dem Vorgesetzten gegenüber spielte
bei einigen eine deutliche Rolle.«387 Es ist nicht unmöglich, daß, wie Bleuler meint,388
diese Befangenheit des öfteren nahe einer Emotionsstupidität (Jung)389 war, die bekannt-
lich auf die Ergebnisse einer solchen Prüfung, wie jede Examenserfahrung beweist, auf

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