Die Trugwahrnehmungen
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einer Stelle referiert. Viele Arbeiten kommen nur im Literaturverzeichnis vor. Das
bedeutet nicht jedesmal ein Werturteil. - Viele Dinge aus der Lehre von den Sinnes-
täuschungen findet man überall an verschiedenen Stellen der Literatur angegeben.
Diese immer mit Aufzählung der Namen zu referieren, erschien uns überflüssig, zumal
die Sachen meist bekannt sind und nur der Vollständigkeit unseres schematisierenden
Referates willen ihren Platz finden mußten.
| (Abgrenzung der Sinnestäuschungen.) Wollen wir zu Beginn das Gebiet der Sinnes-
täuschungen abgrenzen, so können wir das etwa in folgender Weise versuchen: alle
normalen Wahrnehmungen stehen in einer konstanten und stetig abgestuften Bezie-
hung zu äußeren Vorgängen, die bei der Verwertung von Wahrnehmungen zu Urteilen
zur Übereinstimmung der Urteile untereinander und zur Verständigung in den Urtei-
len verschiedener Individuen führt. Die normalen Wahrnehmungen sind geeignet zu
gültigen Urteilen Anlaß zu geben. Diejenigen Wahrnehmungen, die nicht in dieser
Beziehung zu äußeren Vorgängen stehen und darum zur Täuschung des Urteils Anlaß
geben, sind Sinnestäuschungen. Daraus ergeben sich zwei Begrenzungen des Themas:
wir haben es erstens mit leibhaftigen sinnlichen Erlebnissen zu tun, nichtmit vorstellungs-
mäßigen. Wir haben es zweitens nur mit dem Tatbestand dieser sinnlichen Erlebnisse
zu tun, nicht mit dem Realitätsurteil und anderen Urteilen über dieselben.
Aber auch dieses Gebiet der täuschenden sinnlichen Erlebnisse als Tatbestände ist
noch zu groß. Alle diejenigen Sinnestäuschungen, die durch äußere physikalische
Umstände oder durch den Bau der Sinnesorgane oder durch psychologische Gesetz-
mäßigkeiten bei allen Individuen (z.B. die geometrisch-optischen Täuschungen) in
gleicher Weise auftreten, gehören nicht eigentlich in unser Gebiet. Wir können sie
allerdings zum Vergleich vielfach zu Rate ziehen. Kahlbaum583 führte für diese physi-
kalischen, physiologischen und psychologischen Täuschungen den zweckmäßigen Sam-
melnamen »Phenazismen«584 ein, um dieses ganze in sich allerdings recht heterogene
Gebiet von den Täuschungen abzugrenzen, mit denen wir es zu tun haben: den nur
bei einzelnen Individuen und nur unter besonderen Bedingungen auftretenden Sinnes-
täuschungen. Es gehören also nicht eigentlich zu den Trugwahrnehmungen unseres
Gebiets: die entoptischen und entotischen Phänomene,585 die Nachbilder,586 die Gerü-
che und Geschmäcke bei Katarrhen, die Lichterscheinungen und Geräusche bei elek-
trischer Reizung des Opticus587 und des Hörnerven, die Schmerzen und Empfindungen
bei Erkrankungen der Nervenbahnen (Neuritis588 etc.), Kribbeln bei Ulnarisdruck, Gür-
telgefühl bei Tabes312 usw. Allen diesen Phänomenen ist gemeinsam, daß es sich um
reale Wahrnehmungen körperlicher Zustände handelt. Nur werden diese vielfach falsch
lokalisiert.
(Verwechslungen der Sinnestäuschungen.) Man könnte meinen, die Lehre von den Sin-
nestäuschungen sei durchsichtig, die Kenntnis ihrer Erscheinungsformen geläufig,
wenn man aus der Sicherheit, mit der in diesen Dingen vielfach geurteilt wird, einen
Schluß ziehen wollte. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Man liest etwa in Kran-
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einer Stelle referiert. Viele Arbeiten kommen nur im Literaturverzeichnis vor. Das
bedeutet nicht jedesmal ein Werturteil. - Viele Dinge aus der Lehre von den Sinnes-
täuschungen findet man überall an verschiedenen Stellen der Literatur angegeben.
Diese immer mit Aufzählung der Namen zu referieren, erschien uns überflüssig, zumal
die Sachen meist bekannt sind und nur der Vollständigkeit unseres schematisierenden
Referates willen ihren Platz finden mußten.
| (Abgrenzung der Sinnestäuschungen.) Wollen wir zu Beginn das Gebiet der Sinnes-
täuschungen abgrenzen, so können wir das etwa in folgender Weise versuchen: alle
normalen Wahrnehmungen stehen in einer konstanten und stetig abgestuften Bezie-
hung zu äußeren Vorgängen, die bei der Verwertung von Wahrnehmungen zu Urteilen
zur Übereinstimmung der Urteile untereinander und zur Verständigung in den Urtei-
len verschiedener Individuen führt. Die normalen Wahrnehmungen sind geeignet zu
gültigen Urteilen Anlaß zu geben. Diejenigen Wahrnehmungen, die nicht in dieser
Beziehung zu äußeren Vorgängen stehen und darum zur Täuschung des Urteils Anlaß
geben, sind Sinnestäuschungen. Daraus ergeben sich zwei Begrenzungen des Themas:
wir haben es erstens mit leibhaftigen sinnlichen Erlebnissen zu tun, nichtmit vorstellungs-
mäßigen. Wir haben es zweitens nur mit dem Tatbestand dieser sinnlichen Erlebnisse
zu tun, nicht mit dem Realitätsurteil und anderen Urteilen über dieselben.
Aber auch dieses Gebiet der täuschenden sinnlichen Erlebnisse als Tatbestände ist
noch zu groß. Alle diejenigen Sinnestäuschungen, die durch äußere physikalische
Umstände oder durch den Bau der Sinnesorgane oder durch psychologische Gesetz-
mäßigkeiten bei allen Individuen (z.B. die geometrisch-optischen Täuschungen) in
gleicher Weise auftreten, gehören nicht eigentlich in unser Gebiet. Wir können sie
allerdings zum Vergleich vielfach zu Rate ziehen. Kahlbaum583 führte für diese physi-
kalischen, physiologischen und psychologischen Täuschungen den zweckmäßigen Sam-
melnamen »Phenazismen«584 ein, um dieses ganze in sich allerdings recht heterogene
Gebiet von den Täuschungen abzugrenzen, mit denen wir es zu tun haben: den nur
bei einzelnen Individuen und nur unter besonderen Bedingungen auftretenden Sinnes-
täuschungen. Es gehören also nicht eigentlich zu den Trugwahrnehmungen unseres
Gebiets: die entoptischen und entotischen Phänomene,585 die Nachbilder,586 die Gerü-
che und Geschmäcke bei Katarrhen, die Lichterscheinungen und Geräusche bei elek-
trischer Reizung des Opticus587 und des Hörnerven, die Schmerzen und Empfindungen
bei Erkrankungen der Nervenbahnen (Neuritis588 etc.), Kribbeln bei Ulnarisdruck, Gür-
telgefühl bei Tabes312 usw. Allen diesen Phänomenen ist gemeinsam, daß es sich um
reale Wahrnehmungen körperlicher Zustände handelt. Nur werden diese vielfach falsch
lokalisiert.
(Verwechslungen der Sinnestäuschungen.) Man könnte meinen, die Lehre von den Sin-
nestäuschungen sei durchsichtig, die Kenntnis ihrer Erscheinungsformen geläufig,
wenn man aus der Sicherheit, mit der in diesen Dingen vielfach geurteilt wird, einen
Schluß ziehen wollte. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Man liest etwa in Kran-
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