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Die Trugwahrnehmungen
kengeschichten auch noch aus unserer Zeit: »er halluzinierte«, »er sah Christus«, »er
redete dauernd mit halluzinierten Gestalten«. Der Zusammenhang der betreffenden
Krankengeschichten läßt jedoch den Leser zweifeln, ob überhaupt Sinnestäuschun-
gen vorlagen. Im ersten Falle handelte es sich vielleicht nur um Urteilstäuschungen: der
Mann hielt den Oberwärter für einen Grafen; im zweiten hat er vielleicht nur geträumt;
im dritten hat vielleicht nur ein Manischer in der diesen Kranken geläufigen Art mit
erfundenen Figuren zu eigenem Vergnügen Rede und Gegenrede aufgeführt, ohne
255 dabei selbst einer Täuschung zum Opfer zu fallen. Solche Verwechslungen der Trug-
wahrnehmungen sind mehrfach zu einem Gegenstand der Darstellung gemacht'.589
Man hat besonders auf folgende hingewiesen:
a) Die Täuschung liegt nicht im sinnlichen Erlebnis, sondern im Urteil. »Wenn z.B.
ein Geisteskrankerblanke Steinchen als Edelsteine, glänzende Metallstücke als Gold und
Silber sammelt, oder ein geisteskranker Gelehrter allerlei Unrat aus dem Schutt hervor-
sucht und für Antiquitäten ausgibt, so ist das in Beziehung auf die Sinneswahrnehmung
keine wesentlich andere Erscheinung, als wenn kleine Kinder blanke Steinchen usw. für
Edelsteine und für Gold ansehen oder ungebildete Leute sich durch den Glanz über die
Natur und den Wert eines Schmuckes täuschen lassen. Die Sinneswahrnehmung ist in
allen Fällen eine ganz korrekte, falsch ist nur die Beurteilung, der Schluß von einer wahr-
genommenen Eigenschaft des Objektes auf die übrigen Eigenschaften oder auf das Wesen
des Dinges« (Kahlbaum S. 57).590 Hier liegt nicht fälschende Wahrnehmung, sondern fal-
sche Deutung normaler Wahrnehmung vor. Auch ein großer Teil der Fälle von Personen-
verwechslung beruht nicht auf falschen Wahrnehmungen. »Wenn z.B. Geisteskranke in
der Irrenanstalt den ärztlichen Direktor etwa für einen Strafanstaltsdirektor oder andere
Beamte für Strafanstaltsbeamte ansehen, oder wenn sie Personen in der Anstalt wegen
oberflächlicher Ähnlichkeit in den Gesichtszügen oder anderen charakteristischen Eigen-
schaften mit Personen außerhalb der Anstalt identifizieren, so liegt in diesen Beispielen
von Personenverwechslungen wohl ebensowenig ein Fehler in der Sinneswahrnehmung
vor, als in der Verwechslung von blanken Steinchen und Edelsteinen« (Kahlbaum
S. 60) ,591
b) Nicht Halluzination ist, was Hagen“ »vagen Wahnsinn« nennt. »Es gehören
hierher jene Fälle, wo die Kranken, bald bloß unter dem Zwange ihrer Stimmung, bald
mehr willkürlich aus innerer Lust sich eine Phantasiewelt um sich herum schaffen und
lebhaft mit derselben verkehren, ohne doch im mindesten von der Realität derselben
überzeugt zu sein. Indem sie sich dabei durch Äußeres nicht beirren lassen und ihre
selbstgewählte Rolle ähnlich wie Schauspieler, aber mit größerer subjektiver Hingabe
an die Situation, mit Eifer und mit der ganzen Energie spielen, welche die krankhafte
Erregung ihnen verleiht, gewinnt es den Anschein, als ob sie auch wirklich mit ihren
i Vor allem Hagen (2) S. 14-28. Außerdem Kandinsky (3) S. 16 ff., 40 ff.; Kahlbaum S. 57, 60.
ü Wenn Hagen zitiert wird, ist immer die Arbeit 2 gemeint.
Die Trugwahrnehmungen
kengeschichten auch noch aus unserer Zeit: »er halluzinierte«, »er sah Christus«, »er
redete dauernd mit halluzinierten Gestalten«. Der Zusammenhang der betreffenden
Krankengeschichten läßt jedoch den Leser zweifeln, ob überhaupt Sinnestäuschun-
gen vorlagen. Im ersten Falle handelte es sich vielleicht nur um Urteilstäuschungen: der
Mann hielt den Oberwärter für einen Grafen; im zweiten hat er vielleicht nur geträumt;
im dritten hat vielleicht nur ein Manischer in der diesen Kranken geläufigen Art mit
erfundenen Figuren zu eigenem Vergnügen Rede und Gegenrede aufgeführt, ohne
255 dabei selbst einer Täuschung zum Opfer zu fallen. Solche Verwechslungen der Trug-
wahrnehmungen sind mehrfach zu einem Gegenstand der Darstellung gemacht'.589
Man hat besonders auf folgende hingewiesen:
a) Die Täuschung liegt nicht im sinnlichen Erlebnis, sondern im Urteil. »Wenn z.B.
ein Geisteskrankerblanke Steinchen als Edelsteine, glänzende Metallstücke als Gold und
Silber sammelt, oder ein geisteskranker Gelehrter allerlei Unrat aus dem Schutt hervor-
sucht und für Antiquitäten ausgibt, so ist das in Beziehung auf die Sinneswahrnehmung
keine wesentlich andere Erscheinung, als wenn kleine Kinder blanke Steinchen usw. für
Edelsteine und für Gold ansehen oder ungebildete Leute sich durch den Glanz über die
Natur und den Wert eines Schmuckes täuschen lassen. Die Sinneswahrnehmung ist in
allen Fällen eine ganz korrekte, falsch ist nur die Beurteilung, der Schluß von einer wahr-
genommenen Eigenschaft des Objektes auf die übrigen Eigenschaften oder auf das Wesen
des Dinges« (Kahlbaum S. 57).590 Hier liegt nicht fälschende Wahrnehmung, sondern fal-
sche Deutung normaler Wahrnehmung vor. Auch ein großer Teil der Fälle von Personen-
verwechslung beruht nicht auf falschen Wahrnehmungen. »Wenn z.B. Geisteskranke in
der Irrenanstalt den ärztlichen Direktor etwa für einen Strafanstaltsdirektor oder andere
Beamte für Strafanstaltsbeamte ansehen, oder wenn sie Personen in der Anstalt wegen
oberflächlicher Ähnlichkeit in den Gesichtszügen oder anderen charakteristischen Eigen-
schaften mit Personen außerhalb der Anstalt identifizieren, so liegt in diesen Beispielen
von Personenverwechslungen wohl ebensowenig ein Fehler in der Sinneswahrnehmung
vor, als in der Verwechslung von blanken Steinchen und Edelsteinen« (Kahlbaum
S. 60) ,591
b) Nicht Halluzination ist, was Hagen“ »vagen Wahnsinn« nennt. »Es gehören
hierher jene Fälle, wo die Kranken, bald bloß unter dem Zwange ihrer Stimmung, bald
mehr willkürlich aus innerer Lust sich eine Phantasiewelt um sich herum schaffen und
lebhaft mit derselben verkehren, ohne doch im mindesten von der Realität derselben
überzeugt zu sein. Indem sie sich dabei durch Äußeres nicht beirren lassen und ihre
selbstgewählte Rolle ähnlich wie Schauspieler, aber mit größerer subjektiver Hingabe
an die Situation, mit Eifer und mit der ganzen Energie spielen, welche die krankhafte
Erregung ihnen verleiht, gewinnt es den Anschein, als ob sie auch wirklich mit ihren
i Vor allem Hagen (2) S. 14-28. Außerdem Kandinsky (3) S. 16 ff., 40 ff.; Kahlbaum S. 57, 60.
ü Wenn Hagen zitiert wird, ist immer die Arbeit 2 gemeint.