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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0390
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Die Trugwahrnehmungen

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Solche Halluzinationen, in denen halluzinierte Gestalten ganz wie reale sich in den
Erlebenszusammenhang eines besonnenen Menschen einfügen, sprechen, sogar die
Erwägungen der Realität zulassen, sind glaubwürdig in neuerer Zeit nicht berichtet,
womit natürlich nicht gesagt ist, daß so etwas nicht seltenerweise einmal vorkommen
könnte. Als Beispiel für schon sehr merkwürdige Beobachtungen mögen folgende die-
nen:
Seppilli berichtet über den Zusammenhang mit objektiven Wahrnehmungen: Eine Kranke
sah den Teufel nur links und nur wenn sie etwas zur Seite blickte. Stellte man nun eine undurch-
sichtige Scheibe zwischen die Erscheinung resp. den Ort, an dem die Erscheinung gesehen
wurde, und das linke Auge der Kranken, so verschwand jene sofort resp. erschien überhaupt
nicht. Ein vor das linke Auge gehaltenes Prisma verdoppelte die Erscheinung. Dieselbe schien
sich der Pat. zu nähern oder von ihr zu entfernen, je nachdem ob letztere durch das Okular oder
Objektivende eines Opernglases sah. In einem in genügender Entfernung aufgestellten Spiegel
erblickte die Pat. die Gestalt zweimal, und zwar an der ganz richtigen Stelle, wie man es von dem
Bilde eines realen Objekts hätte erwarten müssen.
Sander (2, S. 492) gibt folgende Selbstschilderung eines Pat. Plötzlich trat eine Gestalt in
Lebensgröße vor das Bett des Kranken. »Sie kniete nieder und faltete bittend die Hände - da
schrie ich auf, ich meine meinen Vater zu erkennen. Von diesem Schrei erwachen meine Stu-
benkollegen; ich zünde Licht an und erzähle ihnen meine Vision, - sie suchen zu beruhigen,
das Licht wird wieder ausgelöscht, und - zum zweitenmal dieselbe Erscheinung im weißen
Gewände mit geisterbleichem Gesichte. Nun schießt mir der Gedanke durch den Kopf: dein
Vater ist jetzt gestorben, er will seinem Sohne noch ein Zeichen geben. - Denken, Aufschreien,
um Verzeihung flehen und um den Segen des Sterbenden oder Gestorbenen, war das Werk einer
Sekunde. Da sehe ich die Gestalt auf den Stuhl vor mein Bett treten, segnend die Hände erhe-
ben und sie über mir ausstrecken. »Ein Zeichen, mein Vater, daß du mir vergeben!« Da neigt sich
die Gestalt über mich und bringt ihre Hände dicht an meinen Kopf und im nächsten Augen-
blick war alles zerronnen.«791
Von anderen Zusammenhängen mögen noch einzelne Beispiele, ohne irgendwie
damit vollständig sein zu können, aufgezählt sein. Der Inhalt der Stimmen ist bei man-
chen Kranken derart, daß er sie auf Absichten der Sprecher, auf Zwecke schließen läßt.
Was sie hören, ist nicht sinnlos, sondern geht auf Ziele oder hat jedenfalls irgendeinen
Sinn für das Leben der Kranken. - Manche Stimmen machen Bemerkungen zu allen
Handlungen: jetzt setzt er sich, jetzt läuft er ans Fenster usw., oder zu den Gedanken,
oder zu beiden. - Wirkliche Gegenstände erscheinen durch die Halluzinationen wie
durch einen durchsichtigen Schleier bedeckt. - Eine Stimme sagt dem Kranken, was
ihm nachts angetan werden wird und das trifft zu (Dees).
(Sprachhalluzinationen.) Die Halluzinationen, deren Inhalt die Sprache ist, haben
eine besonders eingehende Analyse erfahren, die durch die Ergebnisse der Aphasiefor-
schungen beeinflußt ist. Im sinnlichen Material der Sprachsymbole unterscheidet
man vier Gruppen von Empfindungskomplexen: beim Hören und Sprechen spielen
»Wortklangbilder« und »Sprachbewegungsbilder« (kinästhetische Empfindungen in
 
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