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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0392
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Die Trugwahrnehmungen

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Fassung zugerufen und werden Randbemerkungen dazu gemacht; oder die Gedanken
werden in der gleichen Form sofort vor- oder nachgesprochen (Doppeldenken Störring) .
Werden die Gedanken nicht in Sprachlauten, sondern in sichtbaren Schriftzeichen wie-
derholt, so spricht man von Gedankensichtbarwerden (Halbey). Das Gedankenlautwer-
den hat zu einer umfassenden Literatur Anlaß gegeben, in der gestritten wurde, ob es
in sprachlich motorischer oder in akustischer Form stattfinde. Das Resultat ist, daß es
sich in allen nur möglichen Formen äußert. Die lautgewordenen Gedanken werden in
Bewegungen | der Zunge gefühlt, an bestimmten Stellen im Körper gehört, oder sie kom-
men aus der Ferne oder erklingen aus Geräuschen usw. - Beim lauten Aussprechen der
Gedanken hört das halluzinatorische Gedankenlautwerden auf. - Beim Lesen werden
die Gedanken manchmal vor-, manchmal nachgesprochen.
(Besondere Inhalte.) Als einen besonderen Inhalt kann man zusammenfassen die
Trugwahrnehmungen von Bewegungen (Hagen S. 6o ff.). Es bewegen sich die optischen
Halluzinationen im objektiven Raum, und nicht nur diese, sondern auch Möbel,
Sterne, Häuser. Stimmen kommen näher. Wasser fließt am Körper entlang, Sensatio-
nen bewegen sich durch den Körper usw. Einen großen Teil der Bewegungshalluzina-
tionen hat Cramer durch Trugwahrnehmungen im Muskelsinn erklärt. Diese finden
entweder in den sensorischen Zentren der Körpermuskulatur statt und bewirken
Schweben, Fallen u. dgl., oder in den Muskeln des Auges und bewirken Bewegungen
der gesehenen Dinge. -
Man kann den Inhalt der Halluzinationen daraufhin betrachten, ob er eine getreue
Reproduktion bestimmter vergangener Erlebnisse oder ob er zwar noch nicht genau
in dieser Weise erlebte, aber doch qualitativ den wirklichen Erlebnissen ähnliche oder
schließlich, ob er der Art nach nie Erlebtes darstellt. Die mittlere Gruppe als das unter
diesem Gesichtspunkt Indifferente, Gewöhnliche lassen wir beiseite. In der ersten
Gruppe handelt es sich um halluzinatorische Erinnerungen, die Bechterew beschrie-
ben hat. Hier handelt es sich entweder um bestimmte in der Zeit lokalisierte einmal
erlebte Ereignisse (z.B. die getreue Gehörshalluzination eines zu bestimmter Zeit vor-
her geführten Gesprächs, das Träumen genau desselben, was am Tage vorher erlebt
wurde, etwa der Aufführung einer Oper) oder um Gegenstände, die zwar oft gesehen
wurden, aber durch ihr einmaliges Dasein bestimmt sind (z.B. die halluzinatorische
Wahrnehmung der gewohnten räumlichen Umgebung, der Stimme der Frau). - In der
letzten Gruppe, die in Übergängen sich aus der mittleren entwickelt, handelt es sich
um phantastische Halluzinationen. Kranke sehen glühende Lavamassen, Menschen mit
abgehauenen Köpfen, aufgebrochenen Erdboden mit züngelnden Flammen usw.,
Dinge, die sie in dieser Weise niemals im Leben gesehen haben.
Ferner wurden die Inhalte der Trugwahrnehmungen dahin unterschieden, ob sie
zur eigenen Person in Beziehung stehen oder ob diese sich ihnen gegenüber als bloßer
Zuschauer verhält. Die meisten Halluzinationen gehören der ersten Gruppe an. Für die
letztere kann man anführen die meisten künstlichen Halluzinationen bei Deliranten,

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