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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0410
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Die phänomenologische Forschungsrichtung 314
in der Psychopathologie8^

Es ist üblich, bei der Untersuchung Geisteskranker zwischen objektiven und subjekti-
ven Symptomen zu unterscheiden. Objektive Symptome sind alle in die sinnlich wahr-
nehmbare Erscheinung tretenden Vorgänge: Reflexe, registrierbare Bewegungen, das
photographierbare Gesicht, motorische Erregungen, sprachliche Äußerungen, schrift-
liche Produkte, Handlungen, Lebensführung usw., ferner gehören zu den objektiven
Symptomen alle meßbaren Leistungen, wie Arbeitsfähigkeit, Übungsfähigkeit, Gedächt-
nisleistungen usw. Schließlich pflegt man auch noch zu den objektiven Symptomen
zu rechnen die Wahnideen, die Erinnerungsfälschungen u. dgl., mit einem Worte die
rationalen Inhalte sprachlicher Produkte, die wir zwar nicht sinnlich wahrnehmen, son-
dern nur verstehen können, die wir aber ohne Zuhilfenahme irgendeines inneren Hin-
einversetzens in Seelisches einfach durch Denken, d.h. rational, verstehen.
Während alle objektiven Symptome jedermann, der die Fähigkeit zu sinnlicher
Wahrnehmung und zu logischem Denken hat, unmittelbar demonstriert und in ihrem
wirklichen Vorhandensein überzeugend dargestellt werden können, sind die subjekti-
ven Symptome, wenn sie erfaßt werden wollen, auf etwas angewiesen, das man im
Gegensatz zu sinnlichem Wahrnehmen und logischem Denken eben subjektiv zu nen-
nen pflegt: sie können nicht mit Sinnesorganen gesehen, sondern nur durch Hinein-
versetzen in die Seele des anderen, durch Einfühlen erfaßt werden, sie können nur
durch Miterleben, nicht durch Denken zur inneren Anschauung gebracht werden. Sub-
jektive Symptome sind alle Gemütsbewegungen und inneren Vorgänge, die wir in der
sinnlichen Erscheinung, die auf diese Weise zum »Ausdruck« wird, unmittelbar zu erfas-
sen meinen, wie die Angst, die Trauer, die Lustigkeit. Subjektive Symptome sind ferner
alle die seelischen Erlebnisse und Phänomene, die die Kranken uns schildern und die
durch ihr Urteil und ihre Darstellung hindurch uns erst mittelbar zugänglich werden.
Schließlich sind subjektive Symptome die seelischen Vorgänge, die aus Bruchstücken
der beiden vorhergehenden Daten, aus Handlungen, Lebensführung usw. gedeutet,
erschlossen werden.
Mit der Unterscheidung der objektiven und subjektiven Symptome pflegt sich
durchweg sehr entschieden ein Wertgegensatz zu verbinden. Objektive Symptome sind
die allein sicheren, mit ihnen allein läßt sich wissenschaftlich etwas anfangen, wäh-
rend subjektive Symptome zwar noch vielfach zur vorläufigen Orientierung nicht gut
zu entbehren sein sollen, aber für eminent unsicher in ihrer Feststellung und für
 
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