Metadaten

Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0012
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Einleitung des Herausgebers

XI

steht. Sichtbar wird dieses Verhältnis am Zusammenhang von Selbstbeschreibung und
Weltdeutung, sofern jede Selbstbeschreibung sich in Horizonten bewegt, die, durch
ein Netzwerk von Kategorien und Konventionen strukturiert, den Subjekten Erkennt-
nis- und Handlungsspielräume ebenso erschließen wie als »Welt« vorgeben. Die Sin-
gularität philosophischen Denkens30 zeigt sich dann in einer Analyse, die den Aufbau
oder die >Grammatik< der in verschiedenen Horizontstrukturen eingewobenen regio-
nalen Ontologien betrifft und den Rückkoppelungen folgt, durch die unterschiedliche
Bilder der Welt als Lebenswelt, physikalischer Welt, Kultur- oder Sozialwelt die Selbst-
beschreibungen der Subjekte vervielfachen. Der Ausgriff auf das Sein im Ganzen anti-
zipiert dabei noch unspezifisch eine gemeinsame Basis konfligierender Selbstbeschrei-
bungen: »Wir sind jeweils als andere unterstellt oder angesprochen, wenn wir Gründe
für die Wahrheit von Behauptungen prüfen, wenn wir Normen [...] nicht nur anerken-
nen, sondern für unser Tun maßgeblich werden lassen und wenn wir uns einem An-
deren nicht nur aufrichtig mitteilen, sondern im Vertrauen offenbaren. [...] Denn es
spricht viel dafür, daß wir Normen anerkennen müssen, für die wir keine zwingende
Begründung geben können. Und die Vertrautheit, in der ein Leben an ein anderes ge-
bunden ist, schließt es in wesentlichen Situationen aus, die Beziehung als unter Nor-
men strikter Allgemeinheit gestellt zu verstehen. Schon diese Konflikte zwingen dazu,
auf ein Umfassenderes hin zu denken, in dem die Konflikte zuletzt zu lösen wären
und in einem damit eine Selbstbeschreibung in einer Dimension gewonnen werden
könnte, in der die primären Selbstbeschreibungen zusammengeführt sind.«31 Jaspers
bestimmt »die Problemstellung der Philosophie in Hinsicht auf Metaphysik«32 ähn-
lich, nur steht für ihn das Konfliktpotential im Vordergrund, das zum Austrag kommt,
sobald Weltbilder sich totalisieren und als »Glaubensmächte« auftreten, die »entschei-
den, was wahr sein soll«.33 Ihnen begegnet die Philosophie mit dem scheinbar abstrak-
ten Anspruch, aus dem Denken des Seins das einheitsstiftende Prinzip zu gewinnen,
auf das die Formel vom »Ganzen« implizit verweist. Der einschlägigen Grundopera-
tion, gekleidet in die Frage nach dem Sein, entspringen zwei Einsichten. Historisch un-
terschiedlich instrumentiert, gehören sie ins Zentrum der Metaphysik: Dass, erstens,
das Sein im Ganzen nur als Eines gedacht werden kann, weil eine Pluralität von Seins-
weisen entweder bloß äquivok oder eine Pluralität von Weisen des Seins wäre. Und
zweitens, dass das eine Sein nur dialektisch Thema werden kann, in Denkvollzügen

30 Ausführlich A. Danto: Wege zur Welt. Grundbegriffe der Philosophie, München 1999 [dt.], 19-60.

31 D. Henrich: »Was ist Metaphysik - was Moderne? Zwölf Thesen gegen jürgen Habermas«, in: Kon-
zepte. Essays zur Philosophie in der Zeit, Frankfurt a.M. 1987, 11-43, hier: 17. - Zum Folgenden auch
Henrich: Denken und Selbstsein. Vorlesungen über Subjektivität, Frankfurt a.M. 2007, 36ff. (»Weltbil-
der und Selbstverständigung«).

32 Henrich: »Was ist Metaphysik - was Moderne?«, 17.

33 Philosophie 1, 329.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften