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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0015
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XIV

Einleitung des Herausgebers

dern erhält. Erhält und verwandelt: Bewähren nämlich kann sich die Orientierung des
Denkens am Einen allein in der eigenen Lebensführung, die unweigerlich auf anders
geführtes Leben trifft. Dass zwischen ihnen Verständigung möglich sei, erweitert den
auf die Kohärenz individueller Selbstbeschreibungen bezogenen Vernunftbegriff zum
Postulat eines universellen Kommunikationswillens. Allgemein ließe sich Jaspers' Exis-
tenzphilosophie deshalb auch als eine Erneuerung der Metaphysik unter der Frage
nach den Bedingungen der Möglichkeit von Kommunikation beschreiben. Zur Tradi-
tion verhält sich die Existenzphilosophie affirmativ, indem sie ihre Gehalte der Über-
lieferung entnimmt und nichts Neues hinzufügt; zur Tradition verhält sie sich kritisch,
indem sie nach der Gestalt einer Metaphysik sucht, die nicht mehr »als Wissenschaft
wird auftreten können«. Sicher ist, dass die Abmessungen dieses Projekts Jaspers erst
allmählich bewusst geworden sind: Es verlangte nicht weniger als eine Reformulierung
der Hegelschen Logik auf Basis der Grundkategorie der Existenz statt des Geistes, und
da Existenz keine »Kategorie« ist, verlangte es zugleich eine eigene, >engagierte< Me-
thode der Erhellung und des Appells.
Der »Appell« ist häufig als Jargon empfunden worden. Steril wirkte Jaspers' Spra-
che (»vollendetes Deutsch«44 noch für Ernst Beutler) nicht nur auf Freunde einer ne-
gativen Dialektik, denen »kein Absolutes anders auszudrücken ist als in Stoffen [...]
der Immanenz«.45 »Erstarrte Unruhe«46 registrierte Dolf Sternberger schon 1935,
»milde Lähmung« löst die Jaspers-Lektüre heute bei vielen aus.47 Man darf jedoch ei-
nen in seiner Formelhaftigkeit bisweilen anstrengenden Gestus nicht als Substitut ei-
ner Metaphysik verstehen, die, an ihr Ende gekommen, sich auf Attitüden des Trans-
zendierens reduzierte. Jaspers' »besonnene Prosa, die nicht führt und nicht zwingt,
sondern anspricht und aufbricht«,48 ist der Versuch, in vorwissenschaftlichen und
bewusst unterminologischen Beschreibungen den Impuls wachzuhalten, der von der
alteuropäischen Metaphysik ausging, ohne ihn an die analytische Korrektheit eines
szientistisch geprägten und religiös erkalteten Zeitalters zu verlieren. Das gelingt mal
besser, mal schlechter - und nach übereinstimmenden Zeugnissen in der freien Rede
besser als in ihrer Verschriftlichung. Jaspers besaß keine literarischen Ambitionen: Fri-

44 E. Beutler an K. Jaspers, 5. September 1943 (Korrespondenzen II, 104).

45 Th. W. Adorno: Negative Dialektik. Gesammelte Schriften Bd. 6, Frankfurt a.M. 1973, 399.

46 D. Sternberger, »Erstarrte Unruhe«, in: Gang zwischen Meistern. Schriften VIII, Frankfurt a.M. 1987,
111-113.

47 »Inzwischen gehören Weber wie Jaspers für uns einer sehr fernen Vergangenheit an. Einer wie der
andere sind Bürger einer Welt, die von leinengebundenen und fadengehefteten Individuen be-
völkert war. Mag sein, daß darum jeder Versuch, diese Autoren zu lesen, nach wenigen Seiten in
eine milde Lähmung führt, vergleichbar dem Schwindel, der einen in einem Museum alter Meis-
ter erfaßt und der den Besucher eilig zum Ausgang treibt« (P. Sloterdijk: Zeilen und Tage. Notizen
2008-2011, Berlin 2012,237).

48 Saner, 133.
 
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