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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0017
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XVI

Einleitung des Herausgebers

tenz sein Denken noch einmal explizit als »Existenzphilosophie« bezeichnet,52 weist in
die entgegengesetzte Richtung. Biographisch ist der Vortragstitel von 1937 sogar höher
zu bewerten und aussagekräftiger als der von 1935: 1937 wusste Jaspers, der die Bruta-
lität des nationalen Aufbruchs zunächst massiv unterschätzt hatte,53 dass er selbst auf
der Agenda stand.54 Nach Frankfurt fuhr Jaspers mit dem Entpflichtungsschreiben in
der Tasche, aus Frankfurt zurückgekehrt erhielt er von de Gruyter die Mitteilung, dass
die RSK die italienische Übersetzung der Geistigen Situation der Zeit blockierte: »die in
dem Buch zu Tage tretende Auffassung« entspreche »der in Deutschland heute ver-
tretenen nicht mehr«55. Folgenreicher als dieser offizielle Bescheid war für Jaspers das
damit verbundene Signal, dass der Verlag seine Texte parteiamtlich prüfen ließ - und
auf diesem Wege in den Fokus der NS-Behörden zu geraten, wollte er unter allen Um-
ständen vermeiden. Bereits die nächste geplante Publikation - »Nietzsche und das
Christentum« - zog Jaspers eigenhändig aus dem Verkehr.56 Zug um Zug ging umge-
kehrt auch der Verlag auf Distanz zu seinem Autor. Die 1940 ausverkaufte Nietzsche-
Monographie wurde noch stillschweigend nachgedruckt,57 auf eine Neuauflage der
Existenzphilosophie verzichtete de Gruyter mit Hinweis auf »die jüdische Frau von Pro-

52 Vgl. unten Stellenkommentar Nr. 223.

53 Das Ganze sei eine Operette, ließ er Hannah Arendt wissen (Saner, 44); exemplarisch ist ein frühes
Statement vom 23. März 1933 (an dem der Reichstag das sogenannte Ermächtigungsgesetz verab-
schiedete): »Überall völlig neue Namen, mit denen man nichts verbindet. Es entscheidet erst, was
sie tun. Aber eins ist gewiss: der alte »Rechtsstaat« ist zu Ende für uns. Die politische Atmosphäre
ist eine völlig veränderte, wohl für unsere Lebenszeit. Dass darin die Menschlichkeit, an der uns
gelegen ist, schlechter gedeihe als bisher, ist keineswegs gewiss. Man weiss schlechthin nicht, wie
in einem halben Jahre durch das wirkliche Tun der Regierung die Dinge aussehen. Noch habe ich
Mut, dass die vernünftigen, geistigen, sachverständigen Kräfte bis dahin die Oberhand haben. -
Was den Juden angetan wird, ist furchtbar. Aber solange die Regierung sich nicht daran beteiligt,
kann man es nicht den Deutschen zuschreiben« (K. Jaspers an E. Mayer). - Zur NS-Zeit ausführ-
lich H. Saner: »Überleben mit einer Jüdin in Deutschland. Karl und Gertrudjaspers in der Zeit des
Nationalsozialismus«, in: Erinnern und Vergessen. Essays zur Geschichte des Denkens, Basel 2004, 97-
130, undJ.-C. Gens: Karl Jaspers. Biographie, Paris 2003, 181-217.

54 Vgl. G. Kurz: »Das Wagnis einer freien Rede. Zu Karl Jaspers' Vorlesungen im Freien Deutschen
Hochstift 1937 über »Existenzphilosophie««, in: Goethezeit- Zeitfür Goethe. Aufden Spuren deutscher
Lyriküberlieferung in der Moderne. Festschrift für Christoph Perels zum 65. Geburtstag, hg. von K.
Feilchenfeld et al., Tübingen 2003, 251-262.

55 RSK an den Verlag Walter de Gruyter, 15. Oktober 1937 (KJG III/8.1, 620).

56 Der gesamte Vorgang ist dokumentiert in: KJG III/8.1, Nr. 131-133; 137-138; 140-141.

57 K. Jaspers an L. Richter, 5. Dezember 1940, Korrespondenzen 11, 581-582: »Der Neudruck meines
Nietzsche ist fertig, das Buch wird wieder geliefert. Vor einigen Tagen schrieb der Verleger. Mit der
alten Jahreszahl, keine Veränderungen, als neue Auflage nicht erkennbar.«
 
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