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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0020
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Einleitung des Herausgebers

XIX

Persönlich-familiär ließen sich die Verhältnisse zwar kitten, aber die Zäsur blieb,
dass Jaspers, erstmals seit Jahrzehnten, ein Projekt nur am Schreibtisch umsetzte, ohne
den kommunikativen Filter der Eingriffe - und Einfälle - seines bis dahin ersten und
wichtigsten Lesers. Erst post festum schickte Jaspers Mayer das Manuskript, auch mit
der Frage, ob er es überhaupt publizieren solle. »Für die Veröffentlichung spricht, dass
man nehmen soll, was der Tag ermöglicht. Ich weiss nicht, wie lange noch meine Lo-
gik dauert - und ob ich dann noch werde publizieren können.«71 Und als Mayer sich zu-
nächst nicht rührte: »Heute schreibe ich, um nach den Vorlesungen zu fragen. Wenn
sie wirklich im Januar erscheinen sollen, müsste ich sie natürlich bald in Druck geben.
Sachliche Erweiterungen und Vertiefungen müssten für die spätere Logik zurückgestellt
werden. Kleine Verbesserungen würde ich dagegen gern jetzt noch machen, wenn ich
Tipps erhalte. - Aber ich will Dich natürlich nicht quälen. Wenn Du bei den grossen
Sorgen keine eigentliche Lust aufbringst, so kann ich das durchaus verstehen. Dann
wollen wir für dieses Mal verzichten [...]. - Natürlich ist die Veröffentlichung dieser
Vorlesungen, die eine Fülle gewichtiger Dinge kurz, aber praegnant beleuchten, keine
Bagatelle. Ich liege dann damit fest und bin dem Angriff ausgesetzt. Zumal die zweite
Hälfte der letzten Vorlesung ist heikel wegen der Religion. Es ist wie ein »Schlappma-
chen« der Philosophie - beabsichtigt, weil niemand durch Versprechen und Pathetik
zu ihr verführt werden soll, sondern lieber bei seiner Kirche bleiben oder zur Kirche ge-
hen soll.«72 Auf diesen dringlichen Appell reagierte Mayer enthusiastisch - »überhaupt
stellen diese Vorlesungen das vorgeschrittenste und vollendetste Manuskript dar, das
Du mir je schicktest«73 -, nicht ohne das genannte Textstück über Philosophie und Re-
ligion einer mehrseitigen, wie immer rückhaltlosen Kritik zu unterziehen.
Die Idee eines verborgenen, »schwachen« Philosophierens trifft den atmosphärisch
intimen Charakter der Frankfurter Vorträge. Sie ziehen die Bilanz eines Denkens, das
nicht nur die gewohnte epistolarische Form seiner Selbstverständigung, sondern auch
die ihm vertraute Öffentlichkeit - das Forum der Universität - verloren hatte; der Ton
ist verhaltener als in Groningen, dadurch persönlicher, »mit eigentümlich ferner, hel-
ler Stimme, gleichsam vernehmlich flüsternd«, wie Dolf Sternberger als Ohrenzeuge
festgehalten hat.74 Sie setzen ein mit dem Thema, das man Jaspers' Lebensthema nen-
nen kann: die Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Wissenschaft, auto-

71 K. Jaspers an E. Mayer, 17. Oktober 1937.

72 K. Jaspers an E. Mayer, 6. November 1937, vgl. Stellenkommentar Nr. 262. - Zu den »grossen Sor-
gen« W. Raaflaub: Ernst Mayer 1883- 1952, 40-42. Mayers Frau, Ella, und ihr gemeinsamer Sohn
Albrecht waren 1937 in die Niederlande emigriert, Ernst Mayer folgte ihnen, unter abenteuerli-
chen Umständen, im November 1938.

73 E. Mayer an K. Jaspers, 6. November 1937.

74 D. Sternberger: »1m Übergang. Zur Vorlesung von Karl Jaspers im Hochstift«, Frankfurter Zeitung,
1. Oktober 1937.
 
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