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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0024
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Einleitung des Herausgebers

XXIII

In der Philosophie hatte Jaspers das »Suchen des Seins«88 vornehmlich performativ, als
ein Transzendieren »ins Ungegenständliche« beschrieben, während das gesuchte Sein
selbst nur den Schattenriss eines schemenhaften Profils erhielt. Die Periechontologie
konkretisiert und konturiert dieses Profil in verschiedene Sphären des Umgreifenden;
sie nimmt damit ein Modell auf, das in der Struktur der Subjekt-Objekt-Beziehung
schon angelegt war und sich über die Zwischenstufe der Psychologie der Weltanschau-
ungen erst allmählich als Option herausschälte, das ungegenständliche Sein topolo-
gisch auszugestalten.89
»In allem Seelenleben steht ein Subjekt einem Objekt gegenüber«, heißt es bereits
in der Allgemeinen Psychopathologie. »Immer [ist] ein Subjekt auf etwas Gegenständli-
ches im weitesten Sinne (Wahrnehmungsinhalt, Gedanke, Ziel des Strebens) gerich-
tet. Dies Gegenständliche im weitesten Sinne nennt man den Inhalt des Seelenlebens,
die Art, wie das Individuum den Gegenstand vor sich hat, die Form«.90 Alles Seelenle-
ben ist demnach Gegenstandsbewusstsein: im weitesten Sinne. Methodisch war mit
dem Ausgang von der Intentionalität das Feld einer deskriptiven Psychologie91 eröffnet,
die sich auf das im Bewusstsein tatsächlich Gegebene beschränken sollte: psychische
Erlebnisse, nicht physische Ereignisse. »Vergegenwärtigung dessen, was im Kranken
wirklich vorgeht, was er eigentlich erlebt, wie ihm etwas im Bewußtsein gegeben ist«,
sei hier der »erste Schritt zum wissenschaftlichen Erfassen«: »Wir müssen alle über-
kommenen Theorien, psychologische Konstruktionen, oder materialistische Mytho-
logien von Hirnvorgängen beiseite lassen.«92
Für die allgemeine Psychopathologie hatte die deskriptive Psychologie allerdings
nur heuristischen Stellenwert. Zudem lag der Akzent mehr auf den genannten Formen
als auf den Inhalten, schon deshalb, weil derselbe Inhalt in verschiedener Form (als
Gegenstand z.B. einer normal fungierenden Wahrnehmung und einer Halluzination)
gegeben sein konnte, das pathologische Symptom also auf Seiten der Form durch-
schlug - oder darin, dass psychisch Kranke die Kompetenz verloren hatten, überhaupt
zwischen verschiedenen Gegebenheitsweisen desselben Inhalts zu unterscheiden.

88 Philosophie I, 4.

89 Der Gedanke einer Topologie des Seins taucht später bei Heidegger wieder auf (vgl. O. Pöggeler:
Der Denkweg Martin Heideggers, Pfullingen 31990, 294-296). Wie in Heideggers Seinstopik geht es
schon in Jaspers' Periechontologie um ein >Sagen< - eine >Er-örterung< - verschiedener Orte des
Seins, nur dass es sich in Jaspers' Sinn dabei um die Erhellung unterschiedlicher Formen von Kom-
munikation handelt, in denen wir des Seins als Umgreifendes innewerden.

90 Allgemeinen Psychopathologie [1913],23, vgl. auch 38-39: »Das Gegenstandsbewußtsein«.

91 Vgl. Allgemeinen Psychopathologie [1946], 47 (Anm. 1): »Husserl gebrauchte das Wort [sc. >Phäno-
menologie<] anfänglich für »deskriptive Psychologie« der Bewußtseinserscheinungen - in diesem
Sinne gilt es für unsere Untersuchungen.«

92 »Die phänomenologische Forschungsrichtung in der Psychopathologie« [1912], in: Gesammelte
Schriften zur Psychopathologie, Berlin und Heidelberg 1963, 314-328, 317.
 
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