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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0027
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XXVI

Einleitung des Herausgebers

zugleich »die« Welt in verschiedene Zusammenhänge von Anschauungs- und Hand-
lungsformen. Wir >haben< also Gegenstände jeweils im Kontext von Weltbildern, wes-
halb die Subjekt-Objekt-Beziehung nicht mehr statisch, sondern jeweils assimiliert
an ein Weltbild gedacht werden muss: Jaspers spricht von einem »Verwachsen«102 der
Seele mit dem Weltbild, wodurch das Weltbild zum Gehäuse wird. »Es ist hier zumeist
in unmittelbarer Selbstverständlichkeit eine Einigkeit zwischen Individuum und dem Ge-
häuse der Objektivitäten vorhanden, wenn der Mensch gar nicht reflektiert, vielmehr
die Einrichtungen der Gesellschaft, die ethischen Imperative, wie sie durch die Sitte
gelten, ebenso wie die Naturgegebenheiten als absolut undiskutierbar ansieht, wenn
er [...] in ihnen lebt, als ob es seine eigene Substanz sei. Mensch und Gehäuse sind hier
so verwachsen, daß Weltanschauung als Prozeß im Einzelmenschen gar nicht mehr
spezifisch ist.«103 Wieder spezifisch wird der Prozess durch die Erfahrung existentieller
Grenzsituationen. Konfrontiert mit Schlüsselphänomenen von Tod, Leiden, Kampf,
Zufall und Schuld zerbricht das Gehäuse, es verliert seine Selbstverständlichkeit und
bietet dem Leben nicht länger Orientierung. Der Orientierungsverlust markiert für den
psychologischen Betrachter zugleich den Wendepunkt, an dem die »geistigen Kräfte«
freigelegt werden, die wir in den weltanschaulichen Wiederaufbau investieren.
Die Analyse dieser Kräfte bildet ein Thema für sich. Von Bedeutung ist hier allein
die lebensweltliche Fundierung, welche die Subjekt-Objekt-Beziehung mit der Psycho-
logie der Weltanschauungen gewinnt. Es geht nicht mehr nur um die Beziehung der Vor-
stellung auf ihren Gegenstand, des Subjekts zum Objekt, sondern um das Verhältnis
des Einzelnen zum Allgemeinen; präziser: es geht in der Beziehung der Vorstellung auf
ihren Gegenstand um das Verhältnis des Einzelnen zum Allgemeinen. Die Teilhabe
des individuellen Bewusstseins am Bewusstsein überhaupt konkretisiert sich als Teil-
nahme an der Objektivität sozio-kultureller Ordnungen - »Geist«104 in der Termino-
logie der Philosophie -, mit denen wir als Gehäuse verwachsen sind und zu denen wir
uns verhalten, wenn Sand ins Getriebe gerät. »Das Subjekt steht zuletzt nicht Gegen-
ständen gegenüber, sondern lebt in einer Weit.«105 Der Sache nach hatte Jaspers damit
ein Konzept des Subjekt/Objekt-Umgreifenden erreicht, das der Mundanisierung der
Subjekt-Objekt-Beziehung entsprach: Den Charakter des Umgreifenden dokumen-
tierte die Selbstverständlichkeit des Gehäuses, in dem sich das intentional verfasste Le-
ben bewegt. Sobald jedoch das Gehäuse seine Selbstverständlichkeit einbüßte, bot es
der psychologischen Betrachtung nur noch den Anblick einer Art Hülse, die durch den

102 Ebd., 145: »Was wir Weltbild nennen, ist uns nicht bloß ein fremdes Gegenüber, das uns nicht be-
rührt, sondern es ist uns mehr oder weniger verwachsen.«

103 Ebd., 280-281.

104 Vgl. ebd., 350: »Geist ist Einswerden von Subjektivität und Objektivität, aber in Gestalt der Objekti-
vität«, ausdifferenziert in Staat, Religion und Kultur (ebd., 351).

105 Philosophie 11, 339.
 
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