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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0029
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XXVIII

Einleitung des Herausgebers

das Sein schlechthin bedeutet: der Grund von allem, das, worin, was als Weltsein ver-
schwindet, eigentlich sein kann: die Transzendenz.«"0
Unter diesem Vorgriff auf Transzendenz wird die Erfahrung von Grenzsituatio-
nen zum Ursprung eines Philosophierens, das »mir Halt gibt« angesichts einer »un-
bestimmten Angst«."1 Die Angst, wie Jaspers sie dicht gedrängt beschreibt, entspringt
der Erinnerung an brüchig gewordene Gewissheiten: »Zum Bewußtsein meiner selbst
erwachend, sehe ich mich in einer Welt, in der ich mich orientiere; ich hatte Dinge
ergriffen und sie wieder fallen lassen; es war alles fraglos selbstverständlich und rein
gegenwärtig. Jetzt aber, mich verwundernd, frage ich, was denn eigentlich sei; denn
alles ist schlechthin vergänglich.«"2 Das Bewusstsein der Vergänglichkeit sistiert den
lebendigen Prozess und bringt das Subjekt in die Schwebe der Fragwürdigkeit allen
Seins. »Ich suche das Sein, das nicht nur verschwindet.«113 Dazu muss das Subjekt aus
der Angst heraus, die Schwebe überwinden, aber nicht rückwärts in die vermeintliche
Selbstverständlichkeit einer Orientierung bietenden Welt, sondern indem ich »selbst
zu sein wage dadurch, daß ich ergreife und entscheide«."4
Jaspers bindet die Seinsfrage damit an eine Situation, die durch einen doppelten
Kontrast gekennzeichnet ist: zwischen Sein und Vergänglichkeit einerseits, anderer-
seits zwischen der selbstverständlichen Präsenz der Welt (wie sie temporär für das Ge-
häuse gilt) und dem Risiko, durch eigenes Entscheiden und Ergreifen »ich selbst« zu
sein. Dabei kann sich das eigene Entscheiden und Ergreifen, anders als noch der psy-
chologisch betrachtete lebendige Prozess, nicht mehr bei der Einhausung in ein Allge-
meines beruhigen, das wieder nur ein verschwindendes Sein wäre. Das unvergängliche
Sein, das ich existentiell suche, muss vielmehr gedacht werden als Absolutes, das alle
gegenständliche Bestimmtheit übersteigt. »Das eigentliche Sein, in einem wißbaren
Sinn nicht zu finden, ist in seiner Transzendenz zu suchen, zu der [...] nur jeweils Exis-
tenz in Bezug tritt.«"5 An genau der Stelle also, an der die psychologische Betrachtung
stehen blieb, weil sie den Ausgriff auf das Absolute nur als Gehäusemetamorphose in
den Blick nahm, tritt die Philosophie ins Mittel. Im spekulativen Gedanken der Trans-
zendenz fängt sie den Überschuss auf, der in der Schaffung jedes neuen Gehäuses liegt
- das »Bewußtsein, nunmehr das Absolute, Endgültige zu erringen«. Vom transzen-
dierenden Denken sozusagen an die Hand genommen, klärt sich dieses Bewusstsein
erst: Es besteht gar nicht in der Überzeugung, das neu errichtete Gehäuse sei diesmal
definitiv (»grenzsituationssicher«), sondern im Vertrauen darauf, dass in der Welt des

iio Ebd., 241.

III Ebd., 2.

112 Ebd.

113 Ebd.

114 Ebd., 3.

115 Ebd., 23.
 
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