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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0038
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Einleitung des Herausgebers

XXXVII

Der philosophische Glaube formuliert in diesem Sinne einen existenzphilosophischen
Selbstvorbehalt, keinen Beitrag zur Theologie. Das erklärt, warum er in aktuellen De-
batten über Glauben und Wissen trotz evidenter Parallelen nicht vorkommt.142 Auch
dort, wo Jaspers ihn auf das Minimum periechontologisch vertretbarer Gehalte bringt,
deren Analogie zur Kantischen Postulatenlehre dann wieder augenfällig ist,143 ist kein
Katechismus gemeint. Die Sätze, gewissermaßen »Meta-Chiffren« für das Verhältnis
von Existenz und Transzendenz, stecken nur das Feld ab, auf dem der Glaube an Kom-
munikation seine Überzeugungskraft aus der Gewissheit bezieht, dass der »liebende
Kampf« nicht ex post Solidarität zwischen Existenzen stiftet, sondern solidarische Exis-
tenzen, die ihr jeweiliges Selbstverständnis in der Auseinandersetzung miteinander
gewinnen.144 Kommunikation erzeugt Kommunität: Diese Erkenntnis verdankt sich
nach Jaspers ursprünglich der existentiellen Kommunikation, aber sie überträgt sich
als Forderung der Vernunft auf alle kommunikativen Formen: in jeder Kommunika-
tion Wahrheit zu suchen, die uns verbindet.145
So gesehen kommt es in der Abgrenzung des philosophischen vom religiösen Glau-
ben gar nicht darauf an, wie das - nach Jaspers - dem religiösen Glauben unaufhebbar
eingeschriebene Offenbarungsgeschehen »funktioniert«, und vermutlich ließe sich
zeigen, dass Jaspers' Prämisse, jede Offenbarung laufe auf die Vergegenständlichung

tenz<. Groningen 1935«, Blätter für deutsche Philosophie 16 (1942/43) 183t.) Die mit dem wahrhaft

metaphysischen, hier: platonischen Denken verbundenen Metaphern, dass die Seele Augen hat,

die Welt eine Höhle ist, aus der wir ans Licht treten sollen, wären für Jaspers indes wiederum nur

Chiffren, an denen uns, wenn wir sie durchspielen, sowohl die Unverzichtbarkeit der Bilder klar

wird wie ihre Kontingenz.

142 Vgl. z.B. B. Latour: Jubilieren. Über religiöse Rede, Frankfurt a.M. 2016 [dt.]; M. de Certaux: Glaubens-
Schwachheit, Stuttgart 2009 [dt.]; G. Vattimo: Jenseits des Christentums. Gibt es eine Welt ohne Gott?,
München 2004 [dt.].

143 Der philosophische Glaube, 33: »Gott ist. Es gibt die unbedingte Forderung. Die Welt hat ein ver-
schwindendes Dasein zwischen Gott und Existenz.« Der erste »Glaubenssatz« entspricht dem Pos-
tulat des Daseins Gottes, der zweite dem Postulat der Freiheit, der dritte dem Postulat der Unsterb-
lichkeit der Seele, die Jaspers allerdings als Geschichtlichkeit im Sinne der Einheit von Zeit und
Ewigkeit versteht. - Vgl. 1. Kant, Kritik der praktischen Vernunft AA 5, 132-134. Die Differenz zu Kant
besteht darin, dass der »Reflexion auf die Gehalte des Glaubens selber« bei Jaspers die Reflexion auf
den kommunikativen »Raum der Glaubensgehalte« vorgeschaltet ist: Der philosophische Glaube, 28.

144 Vgl. Philosophie 11, 64: »In der Kommunikation werde ich mir mit dem Anderen offenbar. Dieses
Offenbarwerden ist jedoch zugleich erst Wirklichwerden des Ich als Selbst.«

145 Zu kurz greift deshalb Habermas' Kritik, »der von Jaspers beschworene unbegrenzte »Kommuni-
kationswille«« erwachse »aus einer moralischen Einsicht, die allem vorausliegt, was sich innerhalb
einer existentiellen Kommunikation erschließen mag«: »die Einsicht, daß interkulturelle Verstän-
digung nur unter Bedingungen symmetrisch eingeräumter Freiheiten und reziprok vorgenomme-
ner Perspektivenübernahmen gelingen kann« (»Vom Kampf der Glaubensmächte. Karl Jaspers
zum Konflikt der Kulturen«, in: J. Habermas: Vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck.
Philosophische Essays, Frankfurt a.M. 21997, 41-58, 57L). Für Jaspers ist die existentielle Kommuni-
kation diese Einsicht, die er allerdings nicht als »moralische« bezeichnen würde.
 
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