Einleitung des Herausgebers
XXXIX
Er sah später diese Prognose bestätigt, nicht so sehr in den Texten Sartres, die er nur
oberflächlich kannte, vielmehr in der Mode, die Sartre eine Zeitlang darstellte. Hinzu
kam die Sprachbarriere. Jaspers bewunderte das Französische - als Sprache der Lite-
ratur. In der Philosophie war ihm die Verbindung von Eleganz und Erudition fremd:
»Mein Denken passt schlecht zur französischen Sprache.«148
Aber es lag nicht an solchen Äußerlichkeiten, dass Jaspers in Frankreich keine, al-
lenfalls eine marginale Rolle gespielt hat. Die französische Existenzphilosophie, bei
Merleau-Ponty, Sartre, Levinas, auch bei Ricoeur, prägte die Antithese von Husserl und
Heidegger, und zu beiden fehlte Jaspers der Zugang. Er war der Überzeugung, dass die
Existenz mit Husserl und Heidegger gerade nicht zu entdecken sei.149 Man sollte da nicht
nachjustieren: Auch die Identifikation von Sackgassen ist Teil des eigenen Denkweges.
5. Reaktionen
Seit Werner Schneiders Karl Jaspers in der Kritik^ herrscht eine gewisse Ratlosigkeit
über den vermeintlichen Rezeptionsmisserfolg der Jaspers'schen Philosophie. Dabei
widerlegt Schneiders seine These vom »Werk ohne Wirkung« weitgehend selbst: durch
eine ebenso konzise wie informative Darstellung der Wirkungen, die Jaspers' Werk zu
Lebzeiten hatte, und das waren nicht wenige. Diese Darstellung ist auf engem Raum
weder zu ergänzen noch fortzuführen, doch es lohnt sich, einen Blick auf zeitgenössi-
sche Reaktionen zu werfen: Wie wurde Vernunft und Existenz, wie die Existenzphiloso-
phie in den 1930er Jahren gelesen? Es geht um Tendenzen, nicht um Vollständigkeit:
Das Material ist uferlos.
Das Hauptinteresse an Vernunft und Existenz, verstärkt noch durch die parallele Pu-
blikation der Nietzsche-Monographie, galt dem Abschnitt über Kierkegaard und Nietz-
sche. Ernst von Aster zitiert ausführlich daraus in der Zeitschrift für Sozialforschung und
resümiert: »Die scheinbare Wesensverschiedenheit des Christentums des Einen und
der betonten Gottlosigkeit des Anderen macht die Ähnlichkeit beider umso kennzeich-
nender. Über diese Ähnlichkeit sagt Jaspers feine und tiefe Dinge, m.E. das Beste in
seinem Buch. - Wie können wir philosophieren nach Kierkegaard und Nietzsche?«151
Feine und tiefe Dinge, das ging dem Herausgeber der Zeitschrift nicht weit genug. In
einer spürbar gereizten Anmerkung kündigt Horkheimer härtere Bandagen an: »Das
obige Referat ist von einem fachphilosophischen Standpunkt aus geschrieben. Der
ausweichende Formalismus der angeblich konkreten Existenzphilosophie [...] fordert
148 K. Jaspers an die Eltern, 26. März 1937.
149 E. Levinas: En decouvrant l'existence avec Husserl et Heidegger, Paris 1949.
150 Bonn 1965.
151 E. v. Aster: »Jaspers, Karl, Vernunft und Existenz. Aula-Voordrachten der Rijksuniversiteit te Gro-
ningen Nr. I. J. B. Wolters. Groningen 1935«, Zeitschrift für Sozialforschung 5 (1936) 267-269,268.
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Er sah später diese Prognose bestätigt, nicht so sehr in den Texten Sartres, die er nur
oberflächlich kannte, vielmehr in der Mode, die Sartre eine Zeitlang darstellte. Hinzu
kam die Sprachbarriere. Jaspers bewunderte das Französische - als Sprache der Lite-
ratur. In der Philosophie war ihm die Verbindung von Eleganz und Erudition fremd:
»Mein Denken passt schlecht zur französischen Sprache.«148
Aber es lag nicht an solchen Äußerlichkeiten, dass Jaspers in Frankreich keine, al-
lenfalls eine marginale Rolle gespielt hat. Die französische Existenzphilosophie, bei
Merleau-Ponty, Sartre, Levinas, auch bei Ricoeur, prägte die Antithese von Husserl und
Heidegger, und zu beiden fehlte Jaspers der Zugang. Er war der Überzeugung, dass die
Existenz mit Husserl und Heidegger gerade nicht zu entdecken sei.149 Man sollte da nicht
nachjustieren: Auch die Identifikation von Sackgassen ist Teil des eigenen Denkweges.
5. Reaktionen
Seit Werner Schneiders Karl Jaspers in der Kritik^ herrscht eine gewisse Ratlosigkeit
über den vermeintlichen Rezeptionsmisserfolg der Jaspers'schen Philosophie. Dabei
widerlegt Schneiders seine These vom »Werk ohne Wirkung« weitgehend selbst: durch
eine ebenso konzise wie informative Darstellung der Wirkungen, die Jaspers' Werk zu
Lebzeiten hatte, und das waren nicht wenige. Diese Darstellung ist auf engem Raum
weder zu ergänzen noch fortzuführen, doch es lohnt sich, einen Blick auf zeitgenössi-
sche Reaktionen zu werfen: Wie wurde Vernunft und Existenz, wie die Existenzphiloso-
phie in den 1930er Jahren gelesen? Es geht um Tendenzen, nicht um Vollständigkeit:
Das Material ist uferlos.
Das Hauptinteresse an Vernunft und Existenz, verstärkt noch durch die parallele Pu-
blikation der Nietzsche-Monographie, galt dem Abschnitt über Kierkegaard und Nietz-
sche. Ernst von Aster zitiert ausführlich daraus in der Zeitschrift für Sozialforschung und
resümiert: »Die scheinbare Wesensverschiedenheit des Christentums des Einen und
der betonten Gottlosigkeit des Anderen macht die Ähnlichkeit beider umso kennzeich-
nender. Über diese Ähnlichkeit sagt Jaspers feine und tiefe Dinge, m.E. das Beste in
seinem Buch. - Wie können wir philosophieren nach Kierkegaard und Nietzsche?«151
Feine und tiefe Dinge, das ging dem Herausgeber der Zeitschrift nicht weit genug. In
einer spürbar gereizten Anmerkung kündigt Horkheimer härtere Bandagen an: »Das
obige Referat ist von einem fachphilosophischen Standpunkt aus geschrieben. Der
ausweichende Formalismus der angeblich konkreten Existenzphilosophie [...] fordert
148 K. Jaspers an die Eltern, 26. März 1937.
149 E. Levinas: En decouvrant l'existence avec Husserl et Heidegger, Paris 1949.
150 Bonn 1965.
151 E. v. Aster: »Jaspers, Karl, Vernunft und Existenz. Aula-Voordrachten der Rijksuniversiteit te Gro-
ningen Nr. I. J. B. Wolters. Groningen 1935«, Zeitschrift für Sozialforschung 5 (1936) 267-269,268.