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Vernunft und Existenz
Die Beziehung ist nicht gleichartige Wechselwirkung, sondern geht aufwärts und
abwärts. Aus dem Niedrigeren ist noch nicht zu erwarten, daß das Höhere ohne wei-
teres daraus hervorgehe oder unter seiner Bedingung verläßlich entstehe. Denn es hat
eigenen Ursprung. Dagegen ist von dem Höheren her dem Niedrigeren Rang und
Grenze zu geben, ohne es hervorbringen zu können. Daher ist nie zu vergessen das An-
gewiesensein jeder Weise des Umgreifenden auf jede andere und die Richtung dieses
Angewiesenseins.
Sofern jede Weise des Umgreifenden von der Helle der Vernunft her als ein noch
relativ Dunkles gesehen wird, ist eine äußere Ähnlichkeit zwischen dem Mehr und
70 dem Weniger als Vernunft. Diese Vergegenwärtigung fordert vom | Philosophieren-
den: Verwechsle nicht Existenz und Daseinsvitalität, nicht Transzendenz und Natur.
Wird der freie Raum in diesem Philosophieren offenbar, so ist ohne ständige Ge-
♦ genwart des Bewußtseins möglicher Existenz eine Gefahr: Im losgelösten Denken sich
an die Weite wie verloren zu sehen. Das echte Denken des Umgreifenden aber wirft
aus dem Gesamtumfang der zu erhellenden Richtungen gerade um so entschiede-
ner zurück auf die konkrete Geschichtlichkeit meines Gegenwärtigseins. Nun erst ist
es möglich, es zu sein, ohne in der Enge gedankenlos, blind und unbezogen zu ver-
schwinden. Nun auch ist es erst möglich, die ganze Weite zu ergreifen, ohne sich in
der Leerheit des bloß Allgemeinen eines Verstandes, in die sinnlose Faktizität des Da-
seins, in ein leeres bloßes Jenseits aufzugeben. Gerade die Bestimmtheit der geschicht-
lichen Tiefe ist gebunden an die Offenheit der grenzenlosen Weite, die Wahrheit des
Bodens an seine Bezogenheit auf die bodenlose Ungeschlossenheit des Seins, Exis-
tenz an Vernunft. Je grenzenloser ich denkend in die Tiefen dringe, desto wahrer wird
meine Liebe in ihrer geschichtlichen Gegenwärtigkeit. Hölderlin: »Wer das Tiefste ge-
dacht, liebt das Lebendigste.«153
Der Mensch vermag den Weg seiner Wahrheit zu suchen in unfanatischer Unbe-
dingtheit, in offen bleibender Entschiedenheit.
Vernunft und Existenz
Die Beziehung ist nicht gleichartige Wechselwirkung, sondern geht aufwärts und
abwärts. Aus dem Niedrigeren ist noch nicht zu erwarten, daß das Höhere ohne wei-
teres daraus hervorgehe oder unter seiner Bedingung verläßlich entstehe. Denn es hat
eigenen Ursprung. Dagegen ist von dem Höheren her dem Niedrigeren Rang und
Grenze zu geben, ohne es hervorbringen zu können. Daher ist nie zu vergessen das An-
gewiesensein jeder Weise des Umgreifenden auf jede andere und die Richtung dieses
Angewiesenseins.
Sofern jede Weise des Umgreifenden von der Helle der Vernunft her als ein noch
relativ Dunkles gesehen wird, ist eine äußere Ähnlichkeit zwischen dem Mehr und
70 dem Weniger als Vernunft. Diese Vergegenwärtigung fordert vom | Philosophieren-
den: Verwechsle nicht Existenz und Daseinsvitalität, nicht Transzendenz und Natur.
Wird der freie Raum in diesem Philosophieren offenbar, so ist ohne ständige Ge-
♦ genwart des Bewußtseins möglicher Existenz eine Gefahr: Im losgelösten Denken sich
an die Weite wie verloren zu sehen. Das echte Denken des Umgreifenden aber wirft
aus dem Gesamtumfang der zu erhellenden Richtungen gerade um so entschiede-
ner zurück auf die konkrete Geschichtlichkeit meines Gegenwärtigseins. Nun erst ist
es möglich, es zu sein, ohne in der Enge gedankenlos, blind und unbezogen zu ver-
schwinden. Nun auch ist es erst möglich, die ganze Weite zu ergreifen, ohne sich in
der Leerheit des bloß Allgemeinen eines Verstandes, in die sinnlose Faktizität des Da-
seins, in ein leeres bloßes Jenseits aufzugeben. Gerade die Bestimmtheit der geschicht-
lichen Tiefe ist gebunden an die Offenheit der grenzenlosen Weite, die Wahrheit des
Bodens an seine Bezogenheit auf die bodenlose Ungeschlossenheit des Seins, Exis-
tenz an Vernunft. Je grenzenloser ich denkend in die Tiefen dringe, desto wahrer wird
meine Liebe in ihrer geschichtlichen Gegenwärtigkeit. Hölderlin: »Wer das Tiefste ge-
dacht, liebt das Lebendigste.«153
Der Mensch vermag den Weg seiner Wahrheit zu suchen in unfanatischer Unbe-
dingtheit, in offen bleibender Entschiedenheit.