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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0115
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Vernunft und Existenz

schaftlicher, auf das Substantielle gehender »Idealismus« wirken.166 Aber in der Folge
mußte durch die Wirkung des Gedankeninhalts als solchen, sofern dessen Konsequen-
zen faktisch gezogen wurden, der verborgen gebliebene Sinn des Ursprungs, der in ei-
ner negierenden Wahrhaftigkeit doch ein sich mißverstehender Wille zum eigentli-
chen Sein war, verloren gehen. Dann entsteht die Möglichkeit, daß ich, rücksichtslos
den bloßen Daseinsgesetzen und Daseinszufälligkeiten folgend, nichts anderes mehr
will, damit auf Kommunikation gültig einsehbarer Wahrheit und wirkender Idee über-
haupt verzichte oder sie allenfalls als Stimmung und als reizvollen Versuch in den vom
gewaltsamen und listenreichen Kampf des bloßen Daseins vorübergehend nicht be-
herrschten Räumen ohne echten Einsatz des Wissenwollens und des Kommunikati-
♦ onswillens, daher als schwindelhaftes Erlebnis, genieße.
Das Vertrauen zur Natur, im Ursprung ein metaphysisches Vertrauen zum Seins-
grund, wird verwechselt mit dem Vertrauen zu den dürftigen, erkannten und immer
82 | auch noch fraglichen Gesetzlichkeiten, die der Erscheinung in naturwissenschaftli-
cher Forschung abgerungen werden. Im blinden Naturvertrauen geht das Wesen des
Menschen verloren, wenn ihm sein Dasein mit Natur identisch wird und diese mit
erkennbarer Gesetzlichkeit. Denn jene Gesetze, wären sie auch vollständig erkannt,
würden Materie und Leben, nicht den Menschen begreiflich machen, vielmehr nur
den Menschen als Gattung der Tiere, der dann von diesem Standpunkt das gefähr-
dete, das kranke Tier heißen kann.167 Mit dem Bewußtsein des Menschen als einziger
Möglichkeit in der uns bekannten Welt verliert sich der Mensch in der einfachen Be-
jahung seiner Triebe, die er doch in tierischer Natürlichkeit und unbefragter Eindeu-
tigkeit nicht auswirken lassen kann, und geht dann aus der damit entstehenden rat-
losen Verwirrung seines Daseins, seines Denkens und seiner geistigen Möglichkeiten
in den gedankenlosen Gehorsam vor unverstandenen Mächten über und als er selbst
zugrunde, nur um da zu sein.
Zu Ende konstruiert bis in ferne Zukunft würde die Rückverwandlung in ein tier-
ähnliches Dasein möglich, das die einer anderen geistigen Welt entstammende und
als Residuum gebliebene technische Apparatur gleich Ameisenbauten bewahrte; es
wäre eine nur noch sich wiederholende, geschichtslose Artung des Lebendigen, die
das Ergebnis eines erstaunlichen, nun vergessenen Zwischenaugenblicks des Mensch-
seins wäre. Was damals einverleibt wurde und sich im Daseinskampf als daseinserhal-
tend und daseinserweiternd bewährte, wäre nun Instinkt geworden und könnte in al-
lem Chaos des Naturdaseins wie die anders geordneten Lebensgestalten lange Zeiten
dauern, bis mit tiefgehenden Wandlungen der Lebensbedingungen der Erdoberfläche
die endgültige Katastrophe auch für dies bloße Dasein käme.168
83 2. Wenn das Denken des Bewußtseins überhaupt selbst[genugsam in sich kreist, so
nimmt es die zeitlose Gültigkeit absolut, als ob darin die Wahrheit und das Sein selbst
ergriffen, den Dingen Ordnung und Gesetz über alle Relativität hinaus abgehorcht
 
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