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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0120
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Wahrheit als Mitteilbarkeit

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nur das Innewerden der Möglichkeit dieses unwißbaren Selbstseins, das nur ist als
Kommunikation der Existenz durch Vernunft.
Das Zusammengehören von Vernunft und Existenz ist jedoch nicht Identität. Fin-
det Existenz die Grenze des in jedem Sinne Widervernünftigen, das mit dem Abbruch
aller Kommunikation zusammenfällt, so kann sie selbst doch dieser ihrer Möglichkeit
nur durch Vernunft inne|werden. Diese negative Existenz, zu der kein Gedanke und 90
kein Sein zu folgen vermag, kann selbst nur wahr sein - d.h. nicht Rückfall in die Enge
einer bestimmten Weise des Umgreifenden, sondern weltloses Verlorensein an eine
unbegreifliche Transzendenz - auf dem Wege über die volle Verwirklichung ihrer am
Ende preisgegebenen Vernunft?
Sind Existenz und Vernunft gleichsam Boden und Band der drei Weisen des Umgrei-
fenden, das wir sind, so läßt sich die eben vollzogene vergleichende Charakteristik des
Wahrheitssinnes dieser drei Weisen ergänzen:
Wir unterschieden den Wahrheitssinn der pragmatischen Bewährung im Dasein,
der zwingenden Evidenz im Bewußtsein überhaupt, der Überzeugung in der geistigen
Idee. Als Existenz erfahre ich Wahrheit im Glauben. Dessen Wahrheit ist nicht schon
in jenen drei ergriffen. Wo keine bewährende Daseinswirkung, keine beweisbare Ge-
wißheit, keine bergende Totalität mehr aufnimmt, dort bin ich an eine Tiefe des Wahr-
seins gekommen, wo ich, ohne das Ganze, das meine wirkliche Welt ist, zu verlassen,
es durchbrochen habe, um zu ihm erst aus der Erfahrung der Transzendenz zurückzu-
kehren, nun in ihm zugleich außer ihm.
Wir unterschieden im Wahrheitssinn, wer denn der Sprechende sei, der diese Wahr-
heit mitteile. In existentieller und vernünftiger Kommunikation spricht entscheidend
der existierende Mensch, der nicht nur vitales Dasein, nicht nur ein abstraktes Verstandes-
wesen, nicht nur ein vollendetes Geisteswesen ist, sondern in allem diesem er selbst ist.
Wir unterschieden die Weisen eines Reiches der Geister. Existenz findet sich in ei-
nem unschließbaren Geisterreich der für Transzendenz offenen Existenzen. Von ihm aus
er|halten die in den Weisen des Umgreifenden erwachsenden Formen der Gemein- 91
schäft erst ihre Seele, während diese Formen wiederum die unüberspringbare Erschei-
nung bleiben, die teilnehmend zu durchschreiten Bedingung der Verwirklichung der
Existenz ist.
Das Ungenügen an jeder besonderen Weise der Kommunikation führte bis zum tota-
len Kommunikationswillen, der nur einer sein kann und in allen Weisen der Kommu-
nikation der eigentlich treibende und bindende ist.

i Vgl. aus meiner »Philosophie« Bd. III, S. 102-116 über »Das Gesetz des Tages und die Leidenschaft ♦
zur Nacht«.
 
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