Metadaten

Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0132
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Vorrang und Grenzen vernünftigen Denkens

71

alle bestimmte Gegenständlichkeit Hinausgreifendes. Bei der Erhellung der Weisen
des Umgreifenden brauchten wir dieselben Worte und Begriffe, die für bestimmte Sa-
chen in der Welt ihren ursprünglichen Sinn haben, nun aber an die Grenze transzen-
dierend nicht in ihrem eigentlichen Sinn verstanden werden sollen, sondern als ge-
genständliche Hilfe, um zum Sprechen zu bringen das Ungegenständliche, hier das
Umgreifende.
Es ist die Frage, was dieses transzendierende Denken | bedeutet. Es soll mit ihm eine
Wirkung im inneren Handeln, eine Mitteilbarkeit des Ungegenständlichen, dessen
was nicht wie Dinge in der Welt vorkommt, erzielt werden. Nur im Bewußtsein über-
haupt ist das Gedachte geradezu verständlich als Selbstgegenwart des Gegenstands
oder Begriffs, für jeden Verstand übereinstimmend, erfüllt durch Wahrnehmbarkei-
ten und durch die Trivialität des von jedermann identisch und allgemein Erlebbaren.
Im Transzendieren ist das Verständnis dagegen nur möglich durch ein Entgegenkom-
mendes aus der Wirklichkeit der Erfahrung des Umgreifenden, von dem die Rede ist.
Die Mitteilbarkeit dieses den Verstand des Bewußtseins überhaupt überschreiten-
den Denkens kommt zu Formen, die schließlich verstandeswidrig sind. Durch Vernunft
erblicke ich in Widerspruch und Paradoxie, was nur in dieser Gestalt mitteilbar wird.
Hier entsteht eine vernünftige Alogik, eine wahre Vernunft, die im Zerbrechen der Ver-
standeslogik ihr Ziel erreicht.
Was so in hinweisenden, nicht als sie selbst gemeinten Gegenständlichkeiten ge-
dacht wird, kann fälschlich in unmittelbarer Direktheit verstanden werden. Es ist ein
Grundfehler des bloßen Verstandes, zu meinen: ins Denken treten, bedeute, denkbar
zu machen im Sinne des Bewußtseins überhaupt. Wenn aber das transzendierend Ge-
sagte doch in gegenständlicher Direktheit für das Bewußtsein überhaupt genommen
wird, so ist der Sinn verfehlt. Hier entsteht eine falsche Logik, eine unwahre Vernunft
in verstandeslogischer Gestalt.
Der mittelbare Ausdruck183 durch das verstandesmäßige Alogische ist logisch klar
zu machen, damit aber zugleich die stete Mißverstehbarkeit alles über die Inhalte des
Bewußtseins überhaupt Hinausgehenden als vermeintlich erkannter Gegenstände.
Das für den Verstand Sinnwidrige kann eine notwendige Form eines Sinnes sein; das
für den | Verstand scheinbar Eindeutige kann eine totale Verkehrung des darin zuerst
getroffenen Sinnes hervorbringen.
Während das Denken in der Begrenzung auf die Gültigkeiten im Bewußtsein über-
haupt seine Macht zu haben scheint, erstens durch identische, universale Verbreitung
unter allen Verstandeswesen, zweitens durch technische Beherrschung des Erkann-
ten, scheint das transzendierende Denken dagegen wie ohnmächtig. Es ist ohnmächtig
zunächst in seinen Formen des Denkens des Nichtdenkbaren: es scheint sich stets
selbst aufzuheben. Es ist ohnmächtig in der Form des Denkens der transzendierend ge-
meinten Gehalte in inadäquater Gegenständlichkeit, wenn es dann meint, sie damit

109




110
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften