Vorrang und Grenzen vernünftigen Denkens
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lung | u. dgl., sondern die Fehler, die logisch in ihrer Art unausweichlich erscheinen 112
und als Unlösbarkeiten erörtert werden:
Berühmte anschauliche Beispiele aus dem Altertum sind: Der Kreter Epimenides187
sagt: Alle Kreter lügen ständig, wenn sie sprechen; also ist, was Epimenides, der ein Kre-
ter ist, sagt, nicht wahr; also ist der Satz »Alle Kreter lügen« nicht wahr usw.188 - Oder
die Geschichte von dem Sophisten Protagoras und seinem Schüler Euathlus,189 der bei
ihm lernt, aber das Honorar erst zahlen soll, wenn er den ersten Prozeß gewonnen hat:
Euathlus aber führt keinen Prozeß, und Protagoras klagt ihn auf Zahlung; Euathlus er-
klärt: wenn ich den Prozeß gewinne, brauche ich nicht zu zahlen, weil das Urteil Deine ♦
Klage abweist; wenn ich verliere, brauche ich auch nicht zu zahlen, weil unsere Abma-
chung sagt, daß ich erst nach einem gewonnenen Prozeß zahlen muß usw. - Oder der
Krokodilschluß:190 Das Krokodil hat einer Mutter ihr Kind geraubt und sagt der Mut-
ter: ich gebe es dir zurück, wenn du mir die Wahrheit darüber sagst, ob ich es zurück- ♦
gebe oder nicht; darauf die Mutter: du wirst mir das Kind nicht zurückgeben: nun mußt ♦
du es mir auf jeden Fall geben, wenn meine Antwort richtig war, infolge unseres Ver-
trags; und auch wenn sie unrichtig war, denn sie würde richtig werden, wenn du das
Kind nicht zurückgeben würdest; aber das Krokodil antwortet: ich kann dir das Kind ♦
in keinem Falle geben: wenn die Antwort falsch ist, nicht wegen unseres Vertrages,
und, wenn ich sie für richtig halte und dir das Kind gebe, auch nicht, weil deine Ant-
wort dann falsch würde.
Ohne in die Einzelheiten und die notwendigen präziseren Fassungen der Beispiele
einzugehen, stellen wir als den allgemeinen Grund der Schwierigkeiten fest, daß in je-
dem Fall eine sogenannte Selbstbezüglichkeit stattfindet. Der lügende Kreter spricht
aus, was durch den Inhalt des Aus|gesagten die Wahrheit dieses Aussagens aufhebt, da- 113
durch aber von neuem wiederherstellt ins Endlose; der Gegenstand des Prozesses des
Euathlus und der Inhalt der Aussage der Mutter sind Bedingung und Bedingtes zu-
gleich. Wir können aber nur sinnvoll eindeutig denken, wenn wir im Inhalt unseres
Gedachten zwei Beziehungspunkte haben, also im Bedingungsverhältnis Bedingung
und Bedingtes, im Gegenstand Ding und Eigenschaft usw. zweierlei sind. Der Fehler
besteht nicht in den einzelnen Schlüssen, sondern in dem Ansatz des nur einen Bezie- ♦
hungspunktes; sowie aus ihm zwei gemacht werden, fällt alle Schwierigkeit und auch
der Witz dieser von den Griechen erdachten Wunderlichkeiten. Die anschaulichen
Beispiele lassen sich leicht so fassen, daß eine Lösung glatt wird. Aber es kommt nicht
auf diese Beispiele an, sondern auf das in ihnen erfaßte Prinzip einer Grenze der ein-
deutigen Denkbarkeit für uns.
Im Philosophieren wird nun gerade im Unterschied von der Erkenntnis der Dinge
in der Welt etwas gedacht, das, wenn es getroffen werden soll, im Gedachtwerden
nichts außer sich haben darf, weil es Ursprung ist: sei es das Sein selbst, sei es die Be-
dingung aller Gegenständlichkeit in der Kantischen Philosophie, sei es die Existenz.
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lung | u. dgl., sondern die Fehler, die logisch in ihrer Art unausweichlich erscheinen 112
und als Unlösbarkeiten erörtert werden:
Berühmte anschauliche Beispiele aus dem Altertum sind: Der Kreter Epimenides187
sagt: Alle Kreter lügen ständig, wenn sie sprechen; also ist, was Epimenides, der ein Kre-
ter ist, sagt, nicht wahr; also ist der Satz »Alle Kreter lügen« nicht wahr usw.188 - Oder
die Geschichte von dem Sophisten Protagoras und seinem Schüler Euathlus,189 der bei
ihm lernt, aber das Honorar erst zahlen soll, wenn er den ersten Prozeß gewonnen hat:
Euathlus aber führt keinen Prozeß, und Protagoras klagt ihn auf Zahlung; Euathlus er-
klärt: wenn ich den Prozeß gewinne, brauche ich nicht zu zahlen, weil das Urteil Deine ♦
Klage abweist; wenn ich verliere, brauche ich auch nicht zu zahlen, weil unsere Abma-
chung sagt, daß ich erst nach einem gewonnenen Prozeß zahlen muß usw. - Oder der
Krokodilschluß:190 Das Krokodil hat einer Mutter ihr Kind geraubt und sagt der Mut-
ter: ich gebe es dir zurück, wenn du mir die Wahrheit darüber sagst, ob ich es zurück- ♦
gebe oder nicht; darauf die Mutter: du wirst mir das Kind nicht zurückgeben: nun mußt ♦
du es mir auf jeden Fall geben, wenn meine Antwort richtig war, infolge unseres Ver-
trags; und auch wenn sie unrichtig war, denn sie würde richtig werden, wenn du das
Kind nicht zurückgeben würdest; aber das Krokodil antwortet: ich kann dir das Kind ♦
in keinem Falle geben: wenn die Antwort falsch ist, nicht wegen unseres Vertrages,
und, wenn ich sie für richtig halte und dir das Kind gebe, auch nicht, weil deine Ant-
wort dann falsch würde.
Ohne in die Einzelheiten und die notwendigen präziseren Fassungen der Beispiele
einzugehen, stellen wir als den allgemeinen Grund der Schwierigkeiten fest, daß in je-
dem Fall eine sogenannte Selbstbezüglichkeit stattfindet. Der lügende Kreter spricht
aus, was durch den Inhalt des Aus|gesagten die Wahrheit dieses Aussagens aufhebt, da- 113
durch aber von neuem wiederherstellt ins Endlose; der Gegenstand des Prozesses des
Euathlus und der Inhalt der Aussage der Mutter sind Bedingung und Bedingtes zu-
gleich. Wir können aber nur sinnvoll eindeutig denken, wenn wir im Inhalt unseres
Gedachten zwei Beziehungspunkte haben, also im Bedingungsverhältnis Bedingung
und Bedingtes, im Gegenstand Ding und Eigenschaft usw. zweierlei sind. Der Fehler
besteht nicht in den einzelnen Schlüssen, sondern in dem Ansatz des nur einen Bezie- ♦
hungspunktes; sowie aus ihm zwei gemacht werden, fällt alle Schwierigkeit und auch
der Witz dieser von den Griechen erdachten Wunderlichkeiten. Die anschaulichen
Beispiele lassen sich leicht so fassen, daß eine Lösung glatt wird. Aber es kommt nicht
auf diese Beispiele an, sondern auf das in ihnen erfaßte Prinzip einer Grenze der ein-
deutigen Denkbarkeit für uns.
Im Philosophieren wird nun gerade im Unterschied von der Erkenntnis der Dinge
in der Welt etwas gedacht, das, wenn es getroffen werden soll, im Gedachtwerden
nichts außer sich haben darf, weil es Ursprung ist: sei es das Sein selbst, sei es die Be-
dingung aller Gegenständlichkeit in der Kantischen Philosophie, sei es die Existenz.