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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0139
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78

Vernunft und Existenz

gen erhält bestimmte Eindeutigkeit eines endlichen Bestandes, gleichsam ein Dasein.
Dann werden in der Folge dieses Mißverstandes existenzerhellende Begriffe angewen-
det, um andere Menschen und mich selbst, ihr Verhalten und meines, unter sie zu sub-
sumieren, es wird also Existenzerhellung wie Psychologie verwendet. Die philosophi-
sche Sprache, die Kunde gibt von dem, was Existenz ist, kann nicht ohne Unwahrheit,
Verkehrung und Zerstörung der Existenz selbst von ihr wie vom Dasein im Bewußtsein
überhaupt wissen und mitteilen.
Allgemein für Existenzerhellung und für Metaphysik und für die transzendierende
philosophische Weltorientierung - überhaupt für alle Gebiete des Philosophierens
♦ - ausgesprochen, gilt der Satz: Was philosophisch anzeigt, appelliert, beschwört, in-
newerden läßt, gegenwärtig macht, das wird, wenn es in der bloßen Verstandesform
wie Wissensinhalt behandelt wird, gerade den Gehalt, der im Philosophieren gemeint
war, verlieren; zugleich wird es zum Schwindel, wenn darin irgendein vom Verstand
vermeintlich gewußtes Lehrstück als gültig festgehalten wird.
Im Sprechen ist allemal etwas Umwendendes, so daß der Grund des Seins vielmehr
dadurch berührt wird, daß ich ihn im Ergreifen nicht nenne. Aber dieses wieder nur
121 dann, | wenn ich es nicht willentlich vermeide - eine künstliche, nur rhetorische und
literarische Technik -, sondern als das schlechthin Ungewollte erfahre.
Ich kann von dem, woraus ich bin und lebe, nur sprechen, indem ich es im Gespro-
chenen auf eine begreifliche Weise verfehle und dadurch indirekt gerade offenbare.
Durch die versuchte logische Klärung verstehen wir ein verhängnisvolles Phänomen
des menschlichen Geistes, das jederzeit da ist, aber im letzten Jahrhundert eine wach-
sende Ausbreitung gewonnen hat: die Bewegung, die man die Rationalisierung des Irra-
tionalen nennen kann.198 Eine vermeintlich allwissende Aufklärung suchte die Form
des Verstandeswissens gerade auch in bezug auf das Verstandesfremde, um das Be-
gehrte technisch hervorzubringen. Aus einer Schwärmerei für die irrationalen Werte
wurde durch absichtliche Herbeiführung der erwünschten Erlebnisse jedoch nicht
eine Steigerung der wahrhaften Rationalität in der Welt, vielmehr unter Verfälschung
echter Rationalität eine weitere Zerstörung des Nichtrationalen erreicht.
Es ist die wesentliche Frage des menschlichen Tuns, was es planvoll als Zweck wol-
len kann und was nicht; oder was es begehren kann und was als begehrt gerade ver-
♦ schwindet; oder was es planend auch faktisch erreichen kann, und was es dadurch,
daß es zweckhaft wird, gerade unmöglich macht.
Machte man sich etwa zum Ziel, eine Persönlichkeit eigenständiger und eigentüm-
licher Art zu werden, so würde man ein künstliches Gebilde mit lauter Larven, bis in
den Kern ohne Wirklichkeit, also gerade keine Persönlichkeit, sondern eine ängstlich
gepflegte Figur. Persönlichkeit wird der Mensch nur, indem er sich um die Sachen küm-
mert, in Tätigkeit und Handeln in der Welt etwas hervorbringt.
 
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