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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0150
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Die Möglichkeiten gegenwärtigen Philosophierens

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des Verlustes irgendeines Wahrheitssinnes und irgendeines möglich werdenden Gehal-
tes hält sie die klaren Grenzsetzungen aufrecht: in dem verwirrenden Durcheinander ♦
des Behauptens erwirkt sie die Helligkeit des Bewußtseins. Damit verhindert sie die Ver-
wandlung des Menschen zu einem Dasein, in dem unklare Triebe, Suggestionen, Um-
setzungen und Verschleierungen jedes substantielle Selbstsein in seiner Möglich-
keit zum Erlöschen bringen, und für das am Ende die Psychoanalyse die richtige Theorie ♦
würde.206 Sie vermag durch die Bereitschaft zur Aufnahme jeder Weise des Wißbaren in
dem Sinne seines besonderen Inhalts Schutz gegen bloße Überredungen und falsche
Verabsolutierungen zu bringen. So kann sie das objektiv machtlose, gewaltlos stille Wir-
ken sein, durch das Wahrheit in jedem Sinne aus dem ihr eigenen Ursprung zu wachsen
gefördert wird. Das Selbstbewußtsein der Weisen des Wissens ermutigt jede Weise, sich
entschieden zu vollziehen. So ist die Logik die bewußt werdende Form der Redlichkeit.
Die philosophische Logik wird weiter zum Helfer der Kommunikation. Die vernünf-
tige Logik allein ist noch ein Werkzeug in der äußersten Gefahr des Abbruchs:
Wenn Wahrheit an Mitteilbarkeit gebunden ist, so ist erstens die stets neu wieder-
herzustellende gemeinsame Klarheit im Logischen überall in jeder der Weisen des Um-
greifenden die Voraussetzung des methodischen Miteinander-sprechen-Könnens.
| Dann ist aber zweitens gerade dort, wo die Gehalte uns nicht mehr selbstver- 136
ständlich verbinden, während in der allgemeinen Sprachlichkeit alle Weisen des Sinns
durcheinander reden, die Aufgabe der Logik von gesteigerter Wesentlichkeit: Die Erfül-
lung der Bedingung logischer Einsicht schafft als solche zwar noch nicht existentielle
Kommunikation; die Bedingung könnte erfüllt sein, und doch könnten alle Gehalte
noch trennen. Aber durch die logische Klarheit vermöchten wir jederzeit noch sinn-
voll miteinander zu sprechen; es könnte die Kommunikation des sich radikal Fremden
noch über den Abgrund hin fruchtbar und lebenweckend versucht werden.
Denn es liegt in der Vernünftigkeit, wenn sie in ihrer Radikalität und Vieldimensi-
onalität und in ihrer Gebundenheit an Existenz gefaßt wird, ein Vertrauen zu sich, als
ob sie immer noch möglich sein müßte. Wie weit aber es ihr gelingt, ist Sache ihrer
wirklichen Erfahrung. Sie würde unvernünftig, wenn sie vorwegnähme. Vielmehr ist
es ihre eigene Vernunft, sich selbst nicht fraglos vorauszusetzen. Aber wenn auch in
aller Welt kein Widerhall für sie mehr wäre, sie würde an sich selbst nicht verzweifeln
können. Denn sie allein vermöchte sich selbst und zugleich das Andere zu übersehen, ♦
das endgültige Scheitern, die absolute Widervernunft noch in ihrer Vernunft hell wer-
den und damit erst eigentlich zum Sein kommen zu lassen?
i Es könnte gefragt worden sein, wie es denn eigentlich mit | »Reflexion« und »Selbstreflexion« stehe, 156
deren Steigerung bis zur Grenzenlosigkeit eine der zu der neuen Situation führenden Handlun-
gen Kierkegaards und Nietzsches war.
Reflexion ist nichts anderes als die Denkbewegungen, die im Umgreifenden des Bewußtseins
überhaupt und des Geistes in den Formen geschehen, welche die Methodenlehre einer philoso-
 
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