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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0184
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Wahrheit

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keine bergende Totalität des Geistes mehr aufnimmt, da bin ich an die Wahrheit ge-
kommen, in der ich alle Weltimmanenz durchbreche, um erst aus der Erfahrung der
Transzendenz in die Welt zurückzukehren, nun in ihr zugleich außer ihr, nun erst ich
selbst. Wahrheit der Existenz bewährt sich als eigentliches Wirklichkeitsbewußtsein.
2. Jede Weise des Wahrseins ist charakterisiert durch den, der jeweils in ihr spricht.
Mit dem Umgreifenden, als das wir in Kommunikation stehen, ist auch die Weise der
Wahrheit gegeben.
Als Dasein spricht ein zweckhaft für sich uneingeschränkt interessiertes Leben, das
alles unter die Bedingung der eigenen Daseinsförderung stellt, nur in diesem Sinne
sympathisch und antipathisch fühlt, Gemeinschaft in diesem Interesse eingeht.
Die Mitteilung ist hier entweder Kampf oder Ausdruck einer Interessenidentität.
Sie ist nicht grenzenlos, sondern bricht zweckhaft ab, bedient sich der List mit dem
Feind und dem möglichen Feind im Freunde. Es kommt ihr ständig auf die Daseins-
wirkung des Gesagten an. Sie will überreden, suggerieren, will stärken oder schwächen.
Als Bewußtsein überhaupt spricht ein vertretbarer Punkt bloßen Denkens. Er ist als
das Denken überhaupt, nicht als dieses Dasein oder als Selbstsein der Existenz.
Die Mitteilung geschieht, an ein Allgemeines sich wendend, durch Gründe. Sie
sucht die Form der richtigen Geltung und des Zwingenden.
| Als Geist spricht die Atmosphäre eines konkreten sich schließenden Ganzseins,
dem der Sprechende und der Verstehende angehören.
Die Mitteilung erfolgt - unter ständiger Bindung an den Ganzheitssinn - durch
Führung der Idee, in der Auswahl, der Betonung, der Bezogenheit des Gesagten.
Als Existenz spricht der Mensch, der selbst da ist. Er wendet sich an die Existenz,
dieser Unvertretbare an den anderen Unvertretbaren.
Die Mitteilung erfolgt in liebendem Kampfe248 - nicht um Macht, sondern um Of-
fenbarkeit -, in dem alle Waffen ausgeliefert werden, aber alle Weisen des Umgreifen-
den zur Erscheinung kommen.
3. In jeder Weise des Umgreifenden, das wir sind, steht Wahrheit einer Unwahrheit
gegenüber, und in jeder erwächst am Ende ein spezifisches Ungenügen, das vorandrängt
zu anderer, tieferer Wahrheit:
Im Dasein ist der Jubel des sich vollendenden Lebens und der Schmerz des Verlo-
rengehens. Beiden gegenüber aber erwächst das Ungenügen am bloßen Dasein, die Lan-
geweile der Wiederholung, das Erschrecken in der Grenzsituation des Scheiterns: al-
les Dasein hat in sich schon das Verderben.249 Was das Daseinsglück sei, ist in keiner
Vorstellung und nicht einmal im Gedanken als eine widerspruchslose Möglichkeit vor
Augen zu stellen: es gibt kein Glück als Dauer und Bestand, kein Glück, das, wenn es
sich hell wird, sich noch genügt.

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