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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0191
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130 Existenzphilosophie

sprucht; oder die Autorität stellt sich, wenn sie verloren ging, aus dem entstandenen
Chaos in einer schicksalhaften Gestalt wieder her. -
Die Vergegenwärtigung dieser Bewegungen aus der stets bleibenden Spannung
führt uns zurück zur umgreifenden Autorität. Autorität ist das gestaltgewordene Rätsel
der Einheit der Wahrheit in der geschichtlichen Wirklichkeit. Das Zusammentreffen
der Wahrheit aus allen Weisen des Umgreifenden mit der Macht in der Welt und mit
der Höhe menschlichen Ranges, der diese Wahrheiten trägt und diese Macht hat, ist
das Wesen der wahren Autorität.
Ich kenne Autorität, sofern ich in ihr erwachsen bin. Ich kann aus ihr leben, sie
aber nicht ableiten und einordnen. Ich kann in sie geschichtlich eindringen, sie aber
nicht von außen begreifen.
Diese Autorität ist nicht zu überblicken. Ich trete ihr nicht als einem Anderen im
ganzen gegenüber. Die Autorität aber, die ich nur von außen sehe, und in der ich nicht
gelebt habe, erblicke ich auch niemals in ihrem Gehalt; ich werde ihrer als Autorität
gar nicht ansichtig.
Es gehört zu meinem transzendent begründeten Schicksal, welcher Autorität ich
mein Reifen zum Selbstsein verdanke, und welche ich, in ihren Resten vielleicht, noch
44 ergriff, um mich ihr hinzugeben. Es ist aber nicht möglich, | Autoritäten bewußt zu ver-
gleichen, zu prüfen und nachträglich zu wählen, welche ich für wahr oder für die beste
halte. Indem ich die Autorität als solche sehe, habe ich sie schon gewählt. Es ist auch
nicht möglich, die wahre Autorität - aus philosophischer Einsicht - in der Kontinuität
vom Ursprung her zu suchen, wie einen Zweck zu wollen und zu machen.
Wohl aber kann ich philosophierend den Verfall der Autorität durch Abgleitung ver-
ständlich machen: sie wird unwahr, wenn jenes Zusammengehörende sich trennt;
wenn einzelne Wahrheitsweisen - ob Dasein, zwingende Gewißheit oder Geist - auto-
nom sich auf sich selbst stellen und sich Autorität anmaßen wollen; wenn sie zur
bloßen Daseinsmacht wird ohne Lebendigkeit aller Ursprünge der Wahrheit; wenn sie
als bloßer Rang einzelner Menschen sich halten möchte, die nicht Macht in der Welt
haben und nicht die Opfer bringen und die Wagnisse eingehen, sie zu erringen und
zu behaupten; wenn ich die Freiheit des Selbstseins aufgebe und »aus Freiheit« ver-
möge einer vermeintlichen Einsicht »die Freiheit preisgebe«252; wenn ich gedankenlo-
sen Gehorsam statt Hingabe an die Tiefe der Autorität vollziehe.
Ausnahme und Autorität sind das in ihrer geschichtlichen Wirklichkeit unergründlich
Umgreifende. Sie offenbaren, was dem bloßen Verstand sinnwidrig und verwerflich er-
scheint: Die eine Wahrheit, das eine Menschsein gibt es nicht; Wahrheit ist für den Men-
schen in der Zeit und daher geschichtlich, daher als Aufgabe unter ständiger Bedrohung.
Wahrheit durch Autorität und Wahrheit aus der Sprache der Ausnahme ist die ge-
genwärtigste, überwältigendste, wo sie ist, - und sie ist die am tiefsten entbehrte, mit
 
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