Metadaten

Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0192
License: Free access  - all rights reserved
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Wahrheit

131
dem ganzen Wesen ersehnte, wo sie fehlt. Nur wo man durch die Scheinklarheit der
bloß richtigen Wahrheit des Ver|standes alles verdeckt, was Ursprung und Gehalt ist, 45
verschwindet diese umgreifende Wirklichkeit der Wahrheit. In dieser aber weiß ich
mich erst existierend.
Ausnahme und Autorität führen in den Grund der Wahrheit, die nicht mehr nur
einer Weise des Umgreifenden angehört, sondern, durch alle hindurchgreifend und
in allen sich erscheinend, die Einheit sein kann. In ihr werden die Konflikte aus dem
Kampfe der Weisen des Umgreifenden einen Augenblick wie gelöst, und zwar nicht
gewaltsam durch Vorrang eines einzigen Umgreifenden, sondern aus der Transzen-
denz, die in allen Weisen des Umgreifenden als das Eine zu sprechen scheint. Es ist
nicht eine Harmonie der Weisen des Umgreifenden, aber ein augenblickliches Ineins-
schlagen aus dem Einen, das doch die Spannungen in der Tat bestehen läßt und zu
neuen Durchbrüchen Raum gibt.
Ausnahme und Autorität, unter sich die äußersten Gegensätze, gehören zusammen
als Zeiger auf die Wahrheit im Grunde. Das beiden in ihrer Polarität Gemeinsame sei
noch einmal charakterisiert:
I. Sie sind begründet in der Transzendenz. Wo sie erscheinen, sind sie sich der Trans-
zendenz gewiß. Ohne den Bezug auf Transzendenz ist keine existentielle Ausnahme
und keine echte Autorität.
2. Beide sind unvollendet. Sie sind in der Bewegung, wie in einem ständigen Sich-
aufheben, in dem sie jeweils in ihrem Augenblick als das eine Wahre aus der Spannung
hervorgehen.
3. Beide sind geschichtlich, als je dieses, das unvertretbar ist. Sie sind in ihrem ur-
sprünglich wahren Gehalt daher nicht nachahmbar und nicht wiederholbar. Aber sie
sind, als das alles geschichtlich Umgreifende und in sich Schließende, in ihrer ge-
schichtlichen Konzentriertheit doch offen in alle Räume.
4. In beiden ist Wahrheit, die der Gestaltung zum Gegenstand, den ich überblicke
und weiß, sich entzieht.
|Gegenständlich konstruiert, als Prinzip einer rationalen Deduktion, sind sie ver- 46
engt, ihres Lebens und Wahrseins beraubt. Als Gegenstände meines zweckhaften Pla-
nens und Machens sind sie sogleich verloren. Die Worte »Ausnahme« und »Autorität«
scheinen eindeutige Phänomene zu treffen. Aber der Sinn dieser Worte ist auf ein Trans-
zendieren gerichtet, in dem der Grund des Wahrseins als das Ineins alles Umgreifen-
den gegenwärtig wird. Weder Dichtung noch Philosophie werden dieser Wahrheit
Herr. Dichtung kommt an die Grenze, wo das in ihr Gestalt Gewordene als solches
nicht die letzte Innerlichkeit ist, auf die es ihr eigentlich ankommt. Philosophie
kommt an die Grenze, daß das Gedachte nie das Sein der Wahrheit selbst ist, auf die
hin doch alles Philosophieren stattfindet.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften