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Existenzphilosophie
zendiert wird, dann hören Möglichkeit und Wirklichkeit auf, Kategorien zu sein. Wer-
den sie aber wieder die bestimmten Kategorien, also der Gedanke, statt mit ihm ins
Undenkbare zu transzendieren, wie zu einem Wissen von der Wirklichkeit als dem
Möglichkeitslosen, so entsteht ein Scheinwissen von der erkannten Notwendigkeit des
Wirklichen. Dieses Entgleiten des transzendierenden Sinns in ein wissendes Haben tut
sich kund in der Weise, wie wir den Gedanken innerlich erfahren (denn der leere, über-
haupt zu keiner Erfahrung werdende Gedanke ist ohnehin nichtig):
Wir stehen beklommen vor der vermeintlich erkannten Wirklichkeit ohne Möglich-
keit. Denn unsere Bewegung durch Möglichkeit ist der Atem unseres Daseins in der
62 | Zeit, ist Bedingung unserer Freiheit. Die brutale Faktizität, die unausweichliche Not-
wendigkeit, die Eindeutigkeit des Seienden, wenn sie als gewußte für absolute Wirk-
lichkeit gehalten werden, überwältigen uns, daß wir ersticken.
Mit dem echten Transzendieren jedoch, in dem wir den Gedanken nicht in endli-
ches Wissen zurückgleiten lassen, bleiben gerade die Möglichkeiten in aller Erschei-
nung, in allem für uns Denkbaren, und bleibt die Vieldeutigkeit des erscheinenden
Faktischen unangetastet. Erst in der Bewegung unseres Zeitdaseins durch sie hindurch
kommen wir zu der Ruhe, die nicht mehr die lähmende Beklommenheit vor dem mög-
lichkeitslosen Faktischen, sondern die Betroffenheit von ewiger Wirklichkeit ist, die
sich in der Unendlichkeit der Zeiterscheinung offenbart und die tiefe Befriedigung in
dieser Betroffenheit ist.
Sowie ich denke, ist wieder Möglichkeit. Daher schafft einerseits das Denken in der
Zeiterscheinung uns immer wieder den Raum des Möglichen, in dem unsere Freiheit
und unsere Hoffnung bleibt; daher hört andererseits das Denken auf vor der Ewigkeit
des Wirklichen ohne Möglichkeit, in der wir keine Freiheit mehr brauchen, sondern
Ruhe finden.
Wir versuchen ein zweites Beispiel, die Wirklichkeit fühlbar zu machen: Wirklichkeit
erscheint uns als Geschichtlichkeit.
Die ewige Wirklichkeit ist nicht als ein zeitlos bestehendes Anderes anzutreffen und
nicht als ein in der Zeit Bleibendes. Vielmehr ist die Wirklichkeit für uns da als ein Über-
gang.259 Sie gewinnt Dasein, indem sie als Dasein alsbald auch wieder verlassen wird.
Sie gewinnt nicht die Gestalt der Dauer, auch nicht die einer beständigen Ordnung,
sondern die des Scheiterns.
Dieses Nichtbestehen und Übergangsein der Wirklichkeit als Erscheinung läßt sich
vergegenwärtigen:
63 I i. Der Mensch ist die Nichtigkeit eines Stäubchens im grenzenlosen Weltall - und
er ist die Tiefe eines Wesens, das das All zu erkennen und als Erkanntes in sich zu
schließen vermag. Er ist beides, zwischen beidem. Sein schwankendes Sein ist nicht eine
bestehende Wirklichkeit, die festzustellen wäre.
Existenzphilosophie
zendiert wird, dann hören Möglichkeit und Wirklichkeit auf, Kategorien zu sein. Wer-
den sie aber wieder die bestimmten Kategorien, also der Gedanke, statt mit ihm ins
Undenkbare zu transzendieren, wie zu einem Wissen von der Wirklichkeit als dem
Möglichkeitslosen, so entsteht ein Scheinwissen von der erkannten Notwendigkeit des
Wirklichen. Dieses Entgleiten des transzendierenden Sinns in ein wissendes Haben tut
sich kund in der Weise, wie wir den Gedanken innerlich erfahren (denn der leere, über-
haupt zu keiner Erfahrung werdende Gedanke ist ohnehin nichtig):
Wir stehen beklommen vor der vermeintlich erkannten Wirklichkeit ohne Möglich-
keit. Denn unsere Bewegung durch Möglichkeit ist der Atem unseres Daseins in der
62 | Zeit, ist Bedingung unserer Freiheit. Die brutale Faktizität, die unausweichliche Not-
wendigkeit, die Eindeutigkeit des Seienden, wenn sie als gewußte für absolute Wirk-
lichkeit gehalten werden, überwältigen uns, daß wir ersticken.
Mit dem echten Transzendieren jedoch, in dem wir den Gedanken nicht in endli-
ches Wissen zurückgleiten lassen, bleiben gerade die Möglichkeiten in aller Erschei-
nung, in allem für uns Denkbaren, und bleibt die Vieldeutigkeit des erscheinenden
Faktischen unangetastet. Erst in der Bewegung unseres Zeitdaseins durch sie hindurch
kommen wir zu der Ruhe, die nicht mehr die lähmende Beklommenheit vor dem mög-
lichkeitslosen Faktischen, sondern die Betroffenheit von ewiger Wirklichkeit ist, die
sich in der Unendlichkeit der Zeiterscheinung offenbart und die tiefe Befriedigung in
dieser Betroffenheit ist.
Sowie ich denke, ist wieder Möglichkeit. Daher schafft einerseits das Denken in der
Zeiterscheinung uns immer wieder den Raum des Möglichen, in dem unsere Freiheit
und unsere Hoffnung bleibt; daher hört andererseits das Denken auf vor der Ewigkeit
des Wirklichen ohne Möglichkeit, in der wir keine Freiheit mehr brauchen, sondern
Ruhe finden.
Wir versuchen ein zweites Beispiel, die Wirklichkeit fühlbar zu machen: Wirklichkeit
erscheint uns als Geschichtlichkeit.
Die ewige Wirklichkeit ist nicht als ein zeitlos bestehendes Anderes anzutreffen und
nicht als ein in der Zeit Bleibendes. Vielmehr ist die Wirklichkeit für uns da als ein Über-
gang.259 Sie gewinnt Dasein, indem sie als Dasein alsbald auch wieder verlassen wird.
Sie gewinnt nicht die Gestalt der Dauer, auch nicht die einer beständigen Ordnung,
sondern die des Scheiterns.
Dieses Nichtbestehen und Übergangsein der Wirklichkeit als Erscheinung läßt sich
vergegenwärtigen:
63 I i. Der Mensch ist die Nichtigkeit eines Stäubchens im grenzenlosen Weltall - und
er ist die Tiefe eines Wesens, das das All zu erkennen und als Erkanntes in sich zu
schließen vermag. Er ist beides, zwischen beidem. Sein schwankendes Sein ist nicht eine
bestehende Wirklichkeit, die festzustellen wäre.