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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0213
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152

Existenzphilosophie

Unmittelbarkeit und Eigenständigkeit ihres transzendenten Ursprungs auslöschen
lassen soll durch Subsumtion unter das Allgemeine einer einzigen Weltgeschichtlich-
keit.
Es ist die Verwandlung der Existenz, die in Freiheit und Offenheit für jeden Ur-
sprung, unabgeschlossen und ins Unabsehbare geschichtlich sich verwirklicht, zur
Existenz, die sich schließt in die bestimmte, alle anderen Ursprünge verleugnende, alle
Menschen und alle Zukunft bindende Erfüllung. Der Philosophie scheint hier die Ver-
nunft preisgegeben.
3. Auch das Eine sieht in der Religion - von der Philosophie her - verwandelt aus.
Es ist zur sichtbaren, objektiven Einheit in der Welt geworden. Ich ergreife im Offen-
barungsglauben das Eine als die Einheit, die in dieser geschichtlichen Gestalt das Eine
für alle ist, das trotz Geschichtlichkeit in seiner geschichtlichen Objektivität allge-
meingültig wird. Ich glaube diese Einheit in der überlieferten Institution der Kirche
78 als der umgreifenden sinn|lichen Sichtbarkeit. Ich gehöre nicht mehr geschichtlich
meiner Kirche, sondern absolut der Kirche an, die die allgemeine, allein wahre ist. Dann
ist die Gegenwärtigkeit nicht mehr die Erscheinung einer geschichtlichen Existenz un-
ter anderen, sondern das ganze Allumschließende. Folgende Konsequenzen zeigen den
Charakter dieser Einheit.
Die Autorität ist nicht mehr in geschichtlichem Kampf, sondern, weil eine, auch
absolut und fixiert; -
ich glaube einem Buche aus der Vergangenheit nicht, wie ich den großen Gehal-
ten der anderen Bücher Glauben schenke, sondern ich glaube ihm als einem einzigen
Buche, durch das Gott sich direkt offenbart hat und zwar glaube ich dieses, weil die ge-
genwärtige Kirche als sichtbare Garantie es für das einzige heilige Buch erklärt und die-
sen Glauben fordert; -
ich muß alle anderen Weisen geschichtlichen Glaubens für unwahr halten, für
wahr nur, sofern zerstreute Keime und Teile des Wahren in ihnen leben,268 die aber erst
eigentlich klar und wahr in der einen Kirche geworden sind; -
es gibt für mich und für jeden anderen Menschen kein Heil außer der einen wah-
ren Kirche;269
die Einheit ist nicht mehr im Bruch, sondern leibhaftig, vollendet da; sie ist zu fin-
den in dieser Gestalt der einen sichtbaren heiligen Kirche in der absoluten Befriedi-
gung durch Teilnahme an ihr.
Bei solcher Charakterisierung der Religion in ihrem Unterschied von Philosophie -
auch wenn diese Charakterisierung nicht beschränkt auf wenige Züge, sondern voll-
ständig entwickelt wäre - und angesichts der ungeheuren historischen Wirklichkeit
der Religion drängen sich Fragen auf, die den Sinn und die Kraft des Philosophierens
in Zweifel ziehen wegen seiner Wirklichkeitsferne:
 
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