Wirklichkeit
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lichkeit, die nicht von der Philosophie gegeben, deren Vernehmbarkeit aber von ihr
erweckt wird. Diese Wirklichkeit kommt so unbegriffen entgegen wie die religiöse
Wirklichkeit. Sie ist im philosophierenden Menschen und seiner Welt das, was alles
trägt.
Aus ihrer Religionsfremdheit kann Philosophie die Religion, wo sie ihrem eigenen
Ursprung treu bleibt, nicht als Unwahrheit bekämpfen: sie wird vom Philosophieren im
Nichtverstehen und in bleibender Bereitschaft und im fragenden Verstehenwollen als
Wahrheit anerkannt. Durch sie immer von neuem in Betroffenheit zu geraten, gehört
zum Leben der Philosophie selbst. Das Verhältnis zwischen Philosophie und Religion
ist ein Kampf, der seinem Wesen nach von der Philosophie her vor dem unbegriffenen
Entscheidenden aufhört zu kämpfen. Der Philosophierende will das Dasein der kirch-
lichen Religion als die einzige Gestalt der substantiellen Überlieferung, an die auch die
Überlieferung der Philosophie gebunden ist. Er möchte mit der Philosophie in die
Spannung der religiösen Wirklichkeit aufgenommen sein, aber nicht als Unterbau son-
dern als der Pol, ohne den ihm auch die Religion zu versinken scheint.
Denn wo aus der Religion allgemeine Behauptungen und Forderungen aufgestellt
werden, die Gültigkeit in der Welt für alle beanspruchen, da ist das gemeinsame Me-
dium von Frage und Prüfung betreten, findet Kampf statt, der nicht aufhört.
c) Dabei macht Philosophie die Voraussetzung, daß ihr die Religion scheinbar ge-
fährdendes Denken in der | Tat nicht Gefahr für eine wahre Religion sein kann. Was
sich vor dem Denken nicht bewährt, kann nicht echt sein, auch nicht, was sich wei-
gert zu hören und befragt zu werden. Das unerbittliche Denken wird das, was wirkli-
chen Ursprung hat, nur um so reiner und heller erstehen lassen. Abgeglittene Religion
aber wird mit Recht der Gefahr des Angriffs ausgesetzt.
Die dritte Frage:
Die Geschichte der letzten Jahrhunderte scheint eine eindringliche Lehre zu ge-
ben: Der Verlust der Religion verwandelt alles. Es erlischt die Autorität wie die Aus-
nahme. Es scheint alles in Zweifel zu stehen und brüchig zu werden. Es gibt keine Un-
bedingtheit mehr, wenn der Schluß gezogen wird: nichts ist wahr, alles ist erlaubt.271
Es erwächst mit der Ratlosigkeit, die keinen Boden mehr finden kann, zugleich der Fa-
natismus, der sich in eine Enge verschließt und nicht mehr denken will. Mit der Reli-
gion als der Gegenwart der Transzendenz verschwindet die eigentliche Wirklichkeit.
Die Religion ist kraftlos geworden. Sie ist wie eine noch glänzend aussehende, aber in-
nen schon zerfallene Figur: ein Stoß und sie stürzt widerstandslos, aber - wie durch ei-
nen Zauber - zugleich mit dem, der stößt, in Staub zusammen.
Alle Mächte, welche die Religion gefährden, gelten dann als ruinös für den Men-
schen überhaupt. Unter diesem Aspekt erscheinen auch Philosophie und Wissenschaf-
ten. In den neueren Zeiten ist mit der Popularisierung der Philosophie eine Summe
leerer Aufklärungsgedanken in einer Verstandesdogmatik allgemeiner Besitz gewor-
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lichkeit, die nicht von der Philosophie gegeben, deren Vernehmbarkeit aber von ihr
erweckt wird. Diese Wirklichkeit kommt so unbegriffen entgegen wie die religiöse
Wirklichkeit. Sie ist im philosophierenden Menschen und seiner Welt das, was alles
trägt.
Aus ihrer Religionsfremdheit kann Philosophie die Religion, wo sie ihrem eigenen
Ursprung treu bleibt, nicht als Unwahrheit bekämpfen: sie wird vom Philosophieren im
Nichtverstehen und in bleibender Bereitschaft und im fragenden Verstehenwollen als
Wahrheit anerkannt. Durch sie immer von neuem in Betroffenheit zu geraten, gehört
zum Leben der Philosophie selbst. Das Verhältnis zwischen Philosophie und Religion
ist ein Kampf, der seinem Wesen nach von der Philosophie her vor dem unbegriffenen
Entscheidenden aufhört zu kämpfen. Der Philosophierende will das Dasein der kirch-
lichen Religion als die einzige Gestalt der substantiellen Überlieferung, an die auch die
Überlieferung der Philosophie gebunden ist. Er möchte mit der Philosophie in die
Spannung der religiösen Wirklichkeit aufgenommen sein, aber nicht als Unterbau son-
dern als der Pol, ohne den ihm auch die Religion zu versinken scheint.
Denn wo aus der Religion allgemeine Behauptungen und Forderungen aufgestellt
werden, die Gültigkeit in der Welt für alle beanspruchen, da ist das gemeinsame Me-
dium von Frage und Prüfung betreten, findet Kampf statt, der nicht aufhört.
c) Dabei macht Philosophie die Voraussetzung, daß ihr die Religion scheinbar ge-
fährdendes Denken in der | Tat nicht Gefahr für eine wahre Religion sein kann. Was
sich vor dem Denken nicht bewährt, kann nicht echt sein, auch nicht, was sich wei-
gert zu hören und befragt zu werden. Das unerbittliche Denken wird das, was wirkli-
chen Ursprung hat, nur um so reiner und heller erstehen lassen. Abgeglittene Religion
aber wird mit Recht der Gefahr des Angriffs ausgesetzt.
Die dritte Frage:
Die Geschichte der letzten Jahrhunderte scheint eine eindringliche Lehre zu ge-
ben: Der Verlust der Religion verwandelt alles. Es erlischt die Autorität wie die Aus-
nahme. Es scheint alles in Zweifel zu stehen und brüchig zu werden. Es gibt keine Un-
bedingtheit mehr, wenn der Schluß gezogen wird: nichts ist wahr, alles ist erlaubt.271
Es erwächst mit der Ratlosigkeit, die keinen Boden mehr finden kann, zugleich der Fa-
natismus, der sich in eine Enge verschließt und nicht mehr denken will. Mit der Reli-
gion als der Gegenwart der Transzendenz verschwindet die eigentliche Wirklichkeit.
Die Religion ist kraftlos geworden. Sie ist wie eine noch glänzend aussehende, aber in-
nen schon zerfallene Figur: ein Stoß und sie stürzt widerstandslos, aber - wie durch ei-
nen Zauber - zugleich mit dem, der stößt, in Staub zusammen.
Alle Mächte, welche die Religion gefährden, gelten dann als ruinös für den Men-
schen überhaupt. Unter diesem Aspekt erscheinen auch Philosophie und Wissenschaf-
ten. In den neueren Zeiten ist mit der Popularisierung der Philosophie eine Summe
leerer Aufklärungsgedanken in einer Verstandesdogmatik allgemeiner Besitz gewor-
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