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Der sogenannte Existentialismus
scheinungen und Werke halten, und kann diese nicht schon darum, weil irgendwo
von Existenz die Rede ist, auf einen Namen bringen.
Ich sah in einer amerikanischen Zeitung ein Bild: In der Mitte Sartre, in großem
Format, lächelnd, zufrieden, um ihn als Trabanten: Pascal, Kierkegaard, Nietzsche und
der Schreiber dieser Zeilen, diese offenbar als Vorgänger Sartre's gemeint.325 Welche
Verkehrung der Maßstäbe! Die großen Männer, die nur mit Ehrfurcht zu nennen sind,
werden einfach neben uns kleine Köpfe gesetzt. So macht man in diesem Spiel der
Welt, alles als Puppe benutzend, jeweils ein Bild. In einer französischen Zeitung stand
ein geistreich erfundener Himmelsbrief Pascals, der schließt: ich bin kein Existenzia-
list [sie].326
Trotz allem aber darf man vielleicht sagen, daß auch in diesem Lärm des alles Ver-
mengens etwas Wahres sich regt, das heute zur Wirklichkeit drängt: eine unabhängige
Philosophie, die durch das Fegefeuer des Nihilismus gegangen ist, diesen nie vergißt
und illusionslos doch ihren Grund gewinnt. So war es schon vor Jahrtausenden. Et-
was Gemeinsames ist hier, das in aller Fremdheit verbindet, noch über den Abgrund
des Verlachtwerdens hinweg. Es handelt sich um unser Menschsein.
Aber Menschsein ist nicht ohne das Andere, das vor ihm ist, an dem er [sic] sich
mißt, von dem es kommt und auf das zu es geht. Ob es das Nichts heißt, oder das Tao,
oder das Eine, oder die Transzendenz, oder das Epekeina tes Ousias,327 oder der Gott
des Jeremias328 - es ist das Sein, auf das es ankommt, und dessen wir in der kurzen
Spanne unseres Lebens gewiß werden wollen. Existentiell werden, das heißt im Ernste
ein Mensch zu werden, und Mensch werden heißt, es im Einklang mit dem Sein zu
werden, durch das und in dem wir sind. Existenz ist nicht ohne Transzendenz.
In die Massen der Menschen aber dringt diese Wahrheit verläßlich nur durch die
Religionen und mit ihnen, oder unverläßlich durch die Kunst der Schriftsteller und
Dichter. Es ist charakteristisch, daß der Existenzialismus [sic] erst von sich reden
machte, als Dichter ihn mit dichterischem Erfolge vertraten, sei es in welcher Gestalt.
Das ist ein Faktum, das philosophisch zweideutig ist. Was derart sich verbreitet, in
dichterischen Gestalten sich versteht, bleibt doch ungeklärt, weil undurchdachte, da-
her dem weiteren Zufall preisgegebene Stimmung. Wie großartig uns eine Welt in Bal-
zac oder Dostojewski auch immer begegnet, unser Innerstes erregt, uns mitschwingen
läßt, es bleibt doch solcher Gestalt alles eigentümlich unverbindlich; es bleibt Mög-
lichkeit, Gemütsbewegung, Erlebnis, es wird nicht Entschluß und Festigkeit der Exis-
tenz. Die Verführung zu ästhetischer Unverbindlichkeit, wenn diese, statt Versuchs-
feld im Spiel der Möglichkeit zu bleiben, zur Haltung des Lebens wird, ist der Tod der
Existenz.
Der sogenannte Existentialismus
scheinungen und Werke halten, und kann diese nicht schon darum, weil irgendwo
von Existenz die Rede ist, auf einen Namen bringen.
Ich sah in einer amerikanischen Zeitung ein Bild: In der Mitte Sartre, in großem
Format, lächelnd, zufrieden, um ihn als Trabanten: Pascal, Kierkegaard, Nietzsche und
der Schreiber dieser Zeilen, diese offenbar als Vorgänger Sartre's gemeint.325 Welche
Verkehrung der Maßstäbe! Die großen Männer, die nur mit Ehrfurcht zu nennen sind,
werden einfach neben uns kleine Köpfe gesetzt. So macht man in diesem Spiel der
Welt, alles als Puppe benutzend, jeweils ein Bild. In einer französischen Zeitung stand
ein geistreich erfundener Himmelsbrief Pascals, der schließt: ich bin kein Existenzia-
list [sie].326
Trotz allem aber darf man vielleicht sagen, daß auch in diesem Lärm des alles Ver-
mengens etwas Wahres sich regt, das heute zur Wirklichkeit drängt: eine unabhängige
Philosophie, die durch das Fegefeuer des Nihilismus gegangen ist, diesen nie vergißt
und illusionslos doch ihren Grund gewinnt. So war es schon vor Jahrtausenden. Et-
was Gemeinsames ist hier, das in aller Fremdheit verbindet, noch über den Abgrund
des Verlachtwerdens hinweg. Es handelt sich um unser Menschsein.
Aber Menschsein ist nicht ohne das Andere, das vor ihm ist, an dem er [sic] sich
mißt, von dem es kommt und auf das zu es geht. Ob es das Nichts heißt, oder das Tao,
oder das Eine, oder die Transzendenz, oder das Epekeina tes Ousias,327 oder der Gott
des Jeremias328 - es ist das Sein, auf das es ankommt, und dessen wir in der kurzen
Spanne unseres Lebens gewiß werden wollen. Existentiell werden, das heißt im Ernste
ein Mensch zu werden, und Mensch werden heißt, es im Einklang mit dem Sein zu
werden, durch das und in dem wir sind. Existenz ist nicht ohne Transzendenz.
In die Massen der Menschen aber dringt diese Wahrheit verläßlich nur durch die
Religionen und mit ihnen, oder unverläßlich durch die Kunst der Schriftsteller und
Dichter. Es ist charakteristisch, daß der Existenzialismus [sic] erst von sich reden
machte, als Dichter ihn mit dichterischem Erfolge vertraten, sei es in welcher Gestalt.
Das ist ein Faktum, das philosophisch zweideutig ist. Was derart sich verbreitet, in
dichterischen Gestalten sich versteht, bleibt doch ungeklärt, weil undurchdachte, da-
her dem weiteren Zufall preisgegebene Stimmung. Wie großartig uns eine Welt in Bal-
zac oder Dostojewski auch immer begegnet, unser Innerstes erregt, uns mitschwingen
läßt, es bleibt doch solcher Gestalt alles eigentümlich unverbindlich; es bleibt Mög-
lichkeit, Gemütsbewegung, Erlebnis, es wird nicht Entschluß und Festigkeit der Exis-
tenz. Die Verführung zu ästhetischer Unverbindlichkeit, wenn diese, statt Versuchs-
feld im Spiel der Möglichkeit zu bleiben, zur Haltung des Lebens wird, ist der Tod der
Existenz.