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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0237
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176

Was ist Existentialismus?

aber trotz Gegnerschaft als ein ungewöhnlich interessantes Phänomen innerhalb der
Verwirrungen unserer Zeit.
Sartre bezieht sich auf die ihm vorhergehende Philosophie unseres Zeitalters, auf
Husserl und Heidegger und auf große Denker der Vergangenheit wie Kierkegaard.
Gleichsam in seinem Gefolge sind in der Weltpresse heute Namen zur Geltung gekom-
men, um die man sich ohne Sartre kaum in solchem Maße gekümmert hätte, zurück
bis Pascal. Es sind die Denker, die waren und dachten, was seit Kierkegaard Existenz
heißt. Alle Zeitgenossen, die in diesen Kreis gerechnet werden, sind auf das stärkste von
Kierkegaard bestimmt, der dem Wort Existenz den tiefen Sinn für das Sein des Men-
schen gab. Seit dem Ersten Weltkrieg wurde Kierkegaard, der 1855 gestorbene dänische
Denker und Dichter, in Deutschland erst eigentlich bekannt und zur Grundlage mo-
dernen Philosophierens. Er, der Christ, wurde mit Nietzsche, dem Zermalmer, zusam-
mengebracht. Beide wurden als die Propheten und zugleich Opfer unseres Zeitalters,
als die Ausnahmen, denen niemand, der sie verstand, folgen durfte, zu den großen
Philosophen, an denen unsere Zeit sich orientieren sollte. Denn man war überdrüssig
der Harmlosigkeit der zwar in Verstandesarbeit soliden, aber in Gehalten unglaubwür-
digen damaligen Philosophie, die sich zur Magd der Wissenschaften degradiert und
in bequemer Lebensferne ihr Wesen hatte, sich beschränkte auf Erkenntnistheorie und
Geschichte der Philosophie. Man begehrte den Ernst wirklichen Philosophierens, den
Atem, der aus der großen alten Philosophie weht, und der von neuem fühlbar wurde
für den, der durch Kierkegaard und Nietzsche erweckt war.
499 ♦ | Die Namen, die man nennt, sind im deutschen Sprachgebiet Heidegger und ich,
im französischen Sartre und Gabriel Marcel. Aber noch viele andere. Mounier, der in
einer Übersicht durch die Form eines Stammbaumes den Zusammenhang der Exis-
tenzphilosophie zeigt, nennt fast alle Philosophen, die heute irgendein Gewicht ha-
ben.331 Dazu kommen hervorragende Schriftsteller wie Camus. Aber nun ist das Son-
derbare, daß eigentlich alle außer Sartre keine »Existentialisten« sein wollen. Heidegger
wehrte ab: sein Hauptwerk heiße nicht »Existenz und Zeit«, sondern »Sein und Zeit«.332
Gabriel Marcel protestierte gegen die beklagenswerten Verwirrungen, denen in sei-
nem Fall die abscheuliche Vokabel Existentialismus Raum gegeben habe.333 Und doch
ist allen der Grundzug Kierkegaardschen Denkens gemeinsam: die Rückkehr aus einer
Wahrheit, die nur gedacht wird als das andere, dem gegenüber ich selbst gleichgültig
bin, zur Wahrheit, die gelebt wird, zum Ernst, der im Menschsein liegt, das frei ist und
über sich selbst zu entscheiden hat.
Der Ausdruck dieser Gesinnung geschieht unter anderem durch einen alten Ge-
danken, den Sartre aufgriff: die Unterscheidung des allgemein Denkbaren, das heißt
des Wesens (Essenz), von dem immer einzelnen, individuellen Dasein, das heißt der
Existenz. Was ist das eigentliche Sein? Ist es das Allgemeine, für das alles Einzelne nur
auswechselbarer Fall, gleichgültige Vielfachheit ist, oder ist es das einzelne Dasein, das
 
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