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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0028
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I. Teil

Philosophische Glaubensgehalte

Inhalte des Glaubens sind unsichtbar. Sie sind nirgends geradezu aufweisbar in der
Welt. Sie sind unbeweisbar, denn sie sind von nichts anderem bedingt.
Von ihnen zu reden, geschieht nicht in der Absicht, ihre Wahrheit durch den Ver-
stand zu beweisen oder durch die Sinne aufnehmen zu lassen, sondern um sie zu um-
kreisen und zu ihnen hinzuleiten durch Zeichen, die in Tatbeständen des Daseins in
der Welt indirekt aufgewiesen werden. Glaubensgehalte sind zu erwecken, wo ein ent-
gegenkommendes Wesen hört, aber sie sind nicht zu geben.
Sie treten auf, im Sprung des sich erhellenden Unbedingten, als Grund, woraus von
da an gelebt wird.
Ausgesprochen in Sätzen sind Glaubensgehalte ein Offenbarwerden des Seins im
Ganzen, das sich in Mitteilung fixiert. Wenn sie aber durch die Form der Sätze fälsch-
lich den endlichen Charakter des Wissens annehmen, so sind sie als Behauptungen so
gut widerlegbar wie beweisbar, beides nur zum Schein. Denn ihr Sinn als Behauptung
ist ein anderer: für Glaubensgehalte sind alle Sätze nur signa.2
Auch haben die philosophischen Glaubensgrundsätze ihre Geltung nicht in abstrak-
ter Allgemeinheit; sie sind wirklich nur mit ihrer Erfüllung durch den Einzelnen in dem
Beziehungsreichtum seiner geschichtlichen Welt und durch sein Schicksal in ihr.
Bevor ein methodisches Philosophieren beginnt, lassen sich solche Glaubensge-
halte unmittelbar vergegenwärtigen. Sie lassen sich an Beispielen wirklichen Glaubens
fühlbar machen. Sie werden durch einfache Erinnerung an sie wiedererkannt als ei-
gene. Zwar werden sie nicht einsichtig, aber aus eigenem Entgegenkommen für wahr
erkannt.
Philosophische Glaubensgehalte unterscheiden sich von religiösen. Den philoso-
phischen fehlt der spezifisch religiöse Halt in Kult, Ritus, Dogma, religiöser Institution.
Sie kennen nur Überlieferung von Denkbewegungen in den persönlich zu vollziehen-
den Meditationen. Statt einer bestimmten, in gegenwärtiger Institution wirksamen
Autorität kennt der philosophische Glaube nur die umfassende geschichtliche Auto-
rität seiner Herkunft aus dem Denken der Menschen in der gesamten Weltgeschichte.
Wir stellen aus der Überlieferung, die im eigenen Leben anzueignen versucht
wurde, fünf Glaubensgehalte auf.
 
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