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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0029
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Grundsätze des Philosophierens

i. Gott ist3
a. Historische Beispiele des Gottesglaubens. - Als Jeremias den Untergang von allem
sah, für das er sein langes Leben gewirkt hatte, als sein Land und sein Volk verloren wa-
ren, als in Ägypten die letzten Reste auch noch dem Glauben an Jahwe untreu wurden
und der Isis opferten, und als sein Jünger Baruch verzweifelte: »Ich bin matt vom Seuf-
zen und finde keine Ruhe«, da antwortete Jeremias: »So spricht Jahwe: Fürwahr, was
ich aufgebaut habe, reisse ich nieder, und was ich eingepflanzt habe, reisse ich aus,
und da verlangst du für dich Grosses? Verlange nicht!«4
In solcher Situation haben diese Worte den Sinn: Dass Gott ist, das ist genug.5 Ob es
»Unsterblichkeit« gibt, danach wird nicht gefragt; ob Gott »vergibt«, solche Frage steht
nicht mehr im Vordergrund. Auf den Menschen kommt es gar nicht an, sein Eigenwille
ist wie sein Kümmern um eigene Seligkeit und Ewigkeit erloschen. Aber auch dass die
Welt im Ganzen einen in sich vollendbaren Sinn, dass sie in irgendeiner Gestalt Bestand
habe, ist als unmöglich begriffen; denn alles ist aus dem Nichts von Gott geschaffen und
in seiner Hand. Sich hängen an etwas in der Welt, fordert, mit dem Glück auch das Leid
zu erfahren: die Schwäche, Bosheit, Quälsucht der Menschen, Verderben und Tod. Im
Verlust von allem bleibt allein: Gott ist. Wenn ein Leben in der Welt unter geglaubter
Führung Gottes das Beste versuchte und doch scheiterte, so bleibt die eine ungeheure
Wirklichkeit: Gott ist. Wenn der Mensch ganz und gar auf sich und seine Ziele als auf et-
was letztes verzichtet, dann vermag sich ihm diese Wirklichkeit als die einzige Wirklich-
keit zu zeigen. Aber sie zeigt sich nicht vorher, nicht abstrakt, sondern nur bei eigener
Einsenkung in das Dasein, und zeigt sich hier erst an der Grenze.
Jeremias[’] Worte sind herbe Worte. Sie sind nicht mehr verbunden einem ge-
schichtlichen Wirkungswillen in der Welt, der lebenwährend vorherging und diesen
Endsinn erst ermöglichte. Sie sprechen schlicht, ohne Phantastik von den letzten Din-
gen, enthalten unergründliche Wahrheit, gerade weil sie auf jeden Inhalt in der Aus-
sage, auf jede Festigung in der Welt verzichten.
Die absolute Transzendenz ist von Jeremias im Gedanken des überweltlichen
Schöpfergottes ergriffen worden. Von daher geht der Glaube, wenn auch oft verschlei-
ert, durch das Abendland bis heute. Andere Gestalt hat die absolute Transzendenz in
Indien seit den Upanischaden. Ob als Atman-Brahman oder als Nirvana, sie ist das ei-
gentliche Sein in und gegenüber allem Weltsein, das mitsamt den Göttern, Menschen,
Tieren, Pflanzen verschwindende Erscheinung, Maya ist.
Herber als alles, schlicht im Nichtwissen, im Verzicht Unendliches ermöglichend
ist Shakespeares Wissen um Transzendenz im Hamlet. Hamlet - nachdem er in der Welt
noch getan, was ihm wesentlich war - spricht vor seinem Sterben das letzte Wort: der
Rest ist Schweigen.6
 
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