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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0031
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Grundsätze des Philosophierens

Der Grundsatz als solcher sagt so gut wie nichts. Der Name Gott trägt zwar die un-
endliche geschichtliche Tiefe; aber diese muss sich in jedem Leben erst wieder zeigen.
Gott ist zu suchen und nie zu besitzen; aber das Suchen selber geschieht nur aus der ur-
sprünglichen Gewissheit, dass er ist. Er ist nicht, wie im blossen Gedanken, die Grenze
der Welt, nicht der Punkt ausserhalb ohne Inhalt, nicht das blosse Nichts der Transzen-
denz gegenüber der sichtbaren Farbigkeit der Welt, sondern die Wirklichkeit selber.
Daher nimmt der Grundsatz »Gott ist« viele Gestalten an: Spekulativ: »Es ist das
Sein«7 (der Ursprung des parmenideischen Denkens). In geschichtlicher Gegenwart:
»Gott lebt«; »Gott ist der lebendige Gott«. Die Offenbarung lässt ihn unmittelbar spre-
chen: »Ich bin, der ich bin.«8
Glauben, dass Gott ist, bedeutet nicht, zu wissen, was Gott ist. Aussagen, die be-
gründen wollen, dass Gott sei, geben sich als Gottesbeweise, Aussagen, die von Gott
reden, als Gotteserkenntnis.
c. Gottesbeweise: dass Gott sei. - Dass Gott sei, ist ein Grundsatz, der geleugnet
wurde. Neuere Versuche des Philosophierens scheinen ihn zu umgehen, d.h. weder zu
behaupten noch zu leugnen. Aber wer philosophiert, hat Rede zu stehen. Wird bezwei-
felt, dass Gott sei, so ist philosophisch eine Antwort notwendig.
Doch Gottes Sein ist nicht zu beweisen, obgleich Gottesbeweise seit alters in rei-
chen Abwandlungen versucht sind. Die meisten Beweise gehen aus von etwas in der
Welt Vorfindbarem, Erfahrbarem, Vollziehbarem und gewinnen dann den Schluss:
wenn dieses ist, dann muss Gott sein; so vergegenwärtigt man die Grundrätsel des
Weltdaseins, und lässt sie auf Gott hinweisen. Oder man vollzieht spekulative Gedan-
kengänge, in denen das eigene Daseinsbewusstsein als Seinsbewusstsein sich versteht
und zum Gottesbewusstsein sich vertieft. Oder man erblickt die Wirklichkeit der Liebe;
die Erfahrung der Ewigkeit in der Liebe ist wie eine Sprache Gottes. Und überall füh-
ren die Ungeschlossenheit der Welt und des Planens in der Welt, aller menschlichen
Entwürfe und Verwirklichungen an die Grenze: vor dem Abgrunde wird das Nichts
oder Gott erfahren.
Es ist klar, dass es sich hier nirgends um Beweise für den Verstand handelt, sondern
um Hinweise für die Vernunft. Beweise für den Verstand beweisen Endliches in der
Welt, Hinweise vergegenwärtigen für die Vernunft. Beweis ist eine unangemessene
Form für die Vergewisserung des Seins Gottes. Diese Vergewisserung des Sehens, des
Innewerdens, des transzendierenden Denkens geschieht nicht durch Beweis, sondern
durch einen Aufschwung. Ein bewiesener Gott ist kein Gott.
Nur wer von Gott ausgeht, kann ihn suchen. Eine Gewissheit vom Sein Gottes, mag
sie noch so keimhaft, unbestimmt und unfassbar sein, ist Voraussetzung, nicht Ergeb-
nis des Philosophierens.
d. Erdenken Gottes: was Gott sei. - Für unser endliches Denken ist Gott ständig
»nicht« dieses oder jenes Bestimmbare, das wir denken oder vorstellen können. Er ist
 
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