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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0055
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52

Grundsätze des Philosophierens

nen Seins wird die selbstreflektierte Vergewisserung eines erwünschten Soseins durch
die Gewaltsamkeit von Handlungen und Sprechweisen.
Die verwunderlichsten Verkehrungen sind die der Liebe: Die Entgleitungen aus der
Fülle der sehenden Liebe in die Leere der blinden gewollten Liebe gegen jeden Näch-
sten; aus der Liebe zum konkreten Wesen eines Menschen in die abstrakte gewollte Hu-
manität (und doch bleibt eine unumgängliche Forderung, wenn sie nicht zur Verkeh-
rung echter Liebe missbraucht wird, in dem allgemeinen Gesetz: liebe deinen
Nächsten!49 sei menschenfreundlich! behandle keinen Menschen nur als Mittel!50 Ver-
letzung dieses Gesetzes bleibt Schuld auch dann, wenn sie um einer geschichtlichen
Notwendigkeit willen auf sich genommen wurde). Wer die Liebe will, gibt Raum für den
Ersatz der Liebe durch dasa Triebhafte. Statt der metaphysischen Liebe bleibt losgelöste
Erotik; an die Stelle des Geheimnisses der Ewigkeit trittb die Bezauberung durch das ins
Nichts der Nacht Verschwindende. Statt der Liebe erwächst eine Befriedigung der
Machtgefühle im Gutestun; aus der Liebe wird eine getane Liebe der lieblosen Seele.
Wenn auch die Liebe, daher die eigentliche Kommunikation zwischen Menschen
nicht zu wollen ist, so kann doch der Wille vorbereiten. Ein ständiges Horchen auf die
Antriebe, deren Prüfung, ein unablässiges inneres Handeln, leise ohne Gewaltsamkeit,
geführt von dem verborgenen Adel der Seele, welcher den Anspruch erhebt schon an
jede Gefühlsregung, dass sie ihm gemäss sei, alles dies erzwingt zwar nicht, aber er-
möglicht das Echte, das allein geschenkt wird.
h. Selbstmacht und Transzendenz. - Die Reflexion auf das Unbedingte führt, wie-
derum fast unausweichlich, zu einer weiteren Verkehrung: Wenn ich weiss, was ich
will, und was ich tue, so erwächst aus der Einstimmung mit mir die Selbstzufrieden-
heit. In dieser liegt eine Anmassung, wenn ich Mangel und Fragwürdigkeit in mir über-
sehe, wenn mir das Grundbewusstsein des Sichgeschenktwerdens im Selbstsein verlo-
ren geht zugunsten eines Übermuts, als ob ich mich selber schaffe und aus mir allein
sei, was ich bin.
Ein Beispiel: Das Auf-sich-selbst-stehen offenbart sich im Sterbenkönnen. Der Ver-
lass auf die eigene Kraftc hat in Daseinsnot als letzten Ausweg noch immer den selbst-
gewählten Tod. Der Mensch, der zur rechten Zeit zu sterben versteht, darf sagen, dass
er sich nicht unterkriegen lasse.51 Im Sterbenkönnen, in dieser Haltung, das Leben un-
ter Bedingungen zu stellen, ohne deren Erfüllung es preisgegeben wird, liegt eine
Selbstmacht, die dem Menschen als Menschen gegeben ist. Da überall diese Selbst-
macht die entscheidende Weise ist, in der Gott, des Menschen Freiheit als sein Werk-

a nach das im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. blos
b an die Stelle des Geheimnisses der Ewigkeit tritt im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu aus dem Ge-
heimnis der Ewigkeit wird
c die eigene Kraft im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu das Selbstsein
 
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