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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0056
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Grundsätze des Philosophierens

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zeug brauchend, unmittelbar, wenn auch stets für das Wissen vieldeutig, die Seele be-
rührt, so ista noch der freiwillige Tod, wo erb hell bewusst ist, eine Weise des Gehorsams
gegen Gottc, eine Forderung des Opfers erfüllend.
Wenn sich aber diese Selbstmacht missversteht als allein in sich gegründet, wenn
der Mensch nicht vor Gott, sondern, wie etwa in der Edda, des Ruhmes wegen stirbt,52
trotzig sich selbst genügend und doch abhängig von dem Sagen der Menschen, dann
ist zu klären: Diese Selbstmacht kann absolut nur sein im Neinsagen. Sie kann sich
nicht auf sich selber stützen, weder im Dasein noch im eigentlichen Selbstsein. Wo sie
positiv wird, ist sie nicht durch sich allein. Im Ergreifen des Daseins ist sie angewiesen
auf Welt und Natur, vermag keine Dauer zu gewinnen und scheitert gewiss. Im Ergrei-
fen ihres Selbst ist sie angewiesen auf Transzendenz. Sie ist in sich selbst nicht absolut,
weil sie sich geschenkt werden muss von der Transzendenz, durch die sie ist: daher die
Freiheit des Selbstseins allein in Gott, nicht in sich selbst, geborgen ist.
Es ist eine Abgleitung, sich selber absolut zu wissen, etwa in der Haltung des stoischen
Bewusstseins: mir kann nichts angetan werden; mir kann kein Schmerz zugefügt werden;
ich stehe über den Dingen. Das ist ein Irrtum in relativ günstigen Situationen; zuweilen
mag es auch eine übermenschliche und unmenschliche Praxis des Ertragenkönnens ge-
ben. Aber für jeden ist es ein Glück und keine Leistung, den äussersten und entsetzlich-
sten Situationen nicht ausgesetzt zu werden, in denen der Mensch versagen muss.
Der Mensch steht zwischen Geburt und Tod. Dulden muss er, dass er in die Welt
tritt, und wie er sich in ihr findet, ohne es gewollt zu haben; dulden muss er sein ge-
wisses Scheiden aus der Welt. Was er zwischen Geburt und Tod verwirklicht, zu wel-
chem Seinsbewusstsein er sich aufschwingt in seiner Liebe, das ist bedingt durch die
Klarheit, mit der er seine Unbedingtheit an seinen Grenzen erfasst. Die Selbstisolie-
rung der Eigenmacht führt ihn ins Leere, die Erfahrung der Grenzen zur Transzendenz.
Dass in der Unbedingtheit sich ein Gehorsam gegen Gott vollzieht, ist niemals ge-
wiss0. Der Mensch hat keine Garantie für eine eindeutige Forderung Gottes. Er muss
es stets daraufhin wagen, dass er Gottes Forderung zu hören glaubt. Das Entscheidende
ist, ob er in der Autonomie seines Entschlusses (autonom gemessen an allen Autoritä-
ten in der Welt) die Forderung Gottese erfährt. Diese Forderung geht an ihn entweder
allein durch das Gesetz: dann gehört zum Unbedingten der Mythus, Gott habe dem
Menschen seine Gebote gegeben durch Offenbarung, für diese offenbarten Gesetze
verlange er Gehorsam. Oder die Forderung geht an ihn am Leitfaden des Gesetzes aus

a ist im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu kann
b nach er im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. in seinen Motiven
c nach Gott im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. sein
d gewiss im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu sicher
e nach Gottes im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. und wie er sie
 
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