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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0068
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Grundsätze des Philosophierens

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schichtlichen Erscheinung am Allgemeinen und zugleich umgekehrt der Prüfung des
Allgemeinen an der geschichtlichen Notwendigkeit. Er muss die Schuld auf sich neh-
men entweder im Durchbruch durch das Allgemeine zugunsten seiner Geschichtlich-
keit oder im Brechen seiner Geschichtlichkeit durch das Allgemeine.
Geschichtlichkeit und Allgemeingiltigkeit, beide an einander gebunden, schlies-
sen in sich weitere Spannungen.
Geschichtlichkeit ist die des Einzelnen und ist die der Gemeinschaft, der er ange-
hört. Gottes Stimme geht an den Einzelnen und geht an die Gemeinschaft. Wenn Got-
tes Stimme die Gemeinschaft trifft, nimmt sie die Gestalt eines objektiv Sagbaren an,
als das sie allen mitgeteilt werden kann. Sie geht von denen aus, die als Einzelne zuerst
sie hörten, die sicha gar nicht als Einzelne, sondern13 als Werkzeug und Glied der Ge-
meinschaft als diese selberc fühlten. Es geschieht0 in einer unmittelbaren Gemein-
schaft, die noch weitgehend6 bewusstlos ist und dief noch nicht befragt wird. Sobald
diese einer reflektierenden®, bewussten Gemeinschaft gewichen ist, die durch Worte,
Werke, Ordnungen durchgehend vermittelt ist und dem Bewusstsein des Einzelnen11
Raum lässt, dann erwächst eine unüberwindbare Schwierigkeit:
Die Geschichtlichkeit der Gemeinschaft wird geführt von der für Alle ausgesagten Of-
fenbarung Gottes. Diese als ausgesagte muss die Form eines für alle Allgemeinen haben.
Dieses Allgemeine verlangt den Gehorsam für ein Unbegriffenes, durchweg zugleich ir-
gendwo Absurdes (z.B. den Glauben an Jahwes Bund mit dem Volke auf dem Sinai und
die von ihm mitgeteilten Gesetze1, an Christus als Gott, der sich in Menschengestalt op-
ferte und auferstand). Denn was geschichtlich ursprünglich wahr sein konnte, ist im spä-
teren Ausgesagtsein nicht mehr dasselbe. Weil Gottes Offenbarung nur absolut geschicht-
lich, je einmalig, darin zugleich unbedingt und ohne Allgemeingiltigkeit eines Sagbaren
sein kann, ist die Fixierung von Gottes Stimme auf die bestimmte Offenbarung eines Vol-
kes, einer Gemeinde, Sekte, Kirche für den philosophierenden Menschen in der Wurzel
auch schon falsch. Weil die Wahrheit der Offenbarung im Augenblick rationalen Aus-
sprechens nicht bleibt, was sie war, kann es für den Philosophierenden Offenbarung
nicht als ein bestimmtes Objektives in der Welt geben, z.B. nicht als ein objektives Heils-
geschehen für alle, nicht als Allgemeingiltiges in Kanon, Gesetz, Dogma, Sakrament. Of-

a nach sich im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. aber
b nach sondern im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. von vornherein nur
c als diese selber im Vorlesungs-Ms. 1945/46 gestr.
d Es geschieht im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu Dies kann geschehen
e weitgehend im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu wesentlich
f die im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu daher
g Sobald diese einer reflektierenden im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu Sobald diese aber einer re-
flektierten
h nach Einzelnen im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. einen eigenen, ihm gehörenden
i und die von ihm mitgeteilten Gesetze im Vorlesungs-Ms. 1945/46gestr.
 
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