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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0071
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68

Grundsätze des Philosophierens

2. Sie verwechseln Gehorsam gegen Gott mit dem Gehorsam gegen in der Welt vor-
kommende Instanzen der Kirche, des Priesters, der Bücher und Gesetze, in denen di-
rekte Offenbarung vorliegen soll.
3. Zwar ist eine wahre Koinzidenz zwischen dem Gehorsam gegen objektive Instan-
zen in der Welt und gegen den ursprünglich erfahrenen Willen Gottes möglich. Wird
aber der vom Einzelnen erfahrene Wille Gottes ausgespielt gegen die objektiven In-
stanzen, so ist die Verführung für die Willkür des Einzelnen, auszuweichen vor der Prü-
fung am Allgemeinen und Gemeinschaftlichen. Wird dagegen umgekehrt die objek-
tive Instanz ausgespielt gegen den vom Einzelnen erfahrenen Willen Gottes, so ist die
Verführung, auszuweichen vor dem Wagnis, Gott gehorsam zu sein auch gegen die ob-
jektiven Instanzen im Hören seines Willens aus der Wirklichkeit selber durch das von
Gott gegebene Medium der Autonomie3. Denn der Mensch kann der Aufgabe seiner
Autonomie ausweichen zugunsten eines Gehorsams gegen Instanzen, die faktisch in
der Welt sind, wenn sie auch durch Offenbarung begründete Autorität in Anspruch
nehmen und Glauben an sich als an spezifisch heilige, von Gott kommende Gebilde
verlangen.
Es gibt eine abgleitende Ratlosigkeit im Greifen nach dem Halt in vertrauenswür-
digen Gesetzen und Befehlen einer Autorität. Es gibt dagegen die sich aufschwingende
Energie der Verantwortung im Hören aus dem Ganzen, aus der Wirklichkeit, aus der
Tiefe. -
Theologen sehen die Eigenmächtigkeit des Einzelnen auch in der Selbstzufrieden-
heit des moralischen Menschen? Von der stoischen Forderung, so zu leben, dass der
Mensch sich selbst gefalle (statt Geltung in der Welt zu suchen), bis zur Selbstzufrie-
denheit, die Kant dem sittlich handelnden Menschen zuspricht,73 soll eine durchge-
hende eigenmächtige Selbstgefälligkeit herrschen, gegen die Paulus und Augustin, ja

a nach Autonomie im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf des Menschen
b Theologen sehen die Eigenmächtigkeit des Einzelnen auch in der Selbstzufriedenheit des mora-
lischen Menschen, im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu || § 4. Gottes Stimme in der Freiheit der
Selbstüberzeugung. || Die vergegenwärtigten Spannungen zeigen, wie die Führung durch die
Transcendenz nicht objektiv eindeutig werden kann. Diese Führung ist radikal anders als jede
Führung in der Welt. Sie fällt zusammen mit dem völligen Freiwerden des Menschen. 11 Es gibt
nur eine Weise der Führung durch Gott. Sie geschieht am Ende nur auf dem Wege über die Frei-
heit der Selbstvergewisserung. Gottes Stimme liegt in dem, was dem einzelnen Menschen, wenn
er aufgeschlossen ist für alles, was aus Überlieferung und Umwelt an ihn heran tritt, aufgeht als ei-
gene Überzeugung. Der Einzelne lebt zwar im Ganzen, aber dieses wird ihm immer nur offenbar
in der Gestalt, wie es dem Einzelnen gegenwärtig wird. 11 Die Führung geschieht durch das Urteil.
Der Mensch urteilt über sein eigenes Tun. Dieses Urteil hemmt und treibt an, corrigiert und be-
stätigt. Aber dieses menschliche Urteil ist doch von vornherein schon mit dem Irrweg verbunden.
Man hat unerbittlich die Eigenmächtigkeit des Einzelnen auch schon in der Selbstzufriedenheit
des moralischen Menschen gesehen.
 
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