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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0099
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Grundsätze des Philosophierens

In den Weisen des Umgreifenden, das wir sind (Dasein, Bewusstsein überhaupt, Geist,
Existenz) ist dieser Sinn ein Wahrheitsbewusstsein ineins mit dem Seinsbewusstsein:
Im Dasein liegt Wahrheit als Instinkt, als vitale Nützlichkeit, als Unmittelbarkeit
des sinnlich Gegenwärtigen.
Im Bewusstsein überhaupt liegt Wahrheit als Widerspruchslosigkeit des in den all-
gemeinen Kategorien gegenständlich Denkbaren.
Im Geist liegt Wahrheit als Überzeugung von Ideen.
Alles Wahrsein wird durch Aussagen im Medium des Bewusstseins überhaupt aus-
gesprochen. Das Bewusstsein überhaupt liefert dabei jedoch nur die Formen der Rich-
tigkeit, während die Quelle des Wahrheitsgehalts den anderen Weisen des Umgreifen-
den entstammt.
In der Existenz liegt Wahrheit als Glaube. Es entspricht dem Sprachgebrauch[,] das
Wort Glaube vorzubehalten für das Bewusstsein der Existenz von Transcendenz:
Glaube liegt im Umgreifenden der Existenz inbezug auf Transcendenz.
Was »Glaube« sei, wird jedoch in einem viel weiteren und in einem mannigfachen
Sinn gedacht. Weil der Ursprung der Wahrheit im Umgreifenden liegt (auch des Da-
seins, des »ich denke« meines Bewusstseins, des Geistes), kann man alle Weisen des In-
neseins von Wahrheit »Glaube« nennen. Glaube in diesem weiteren Sinn kann daher
die Gegenwärtigkeit des Wahren in allen Weisen des Umgreifenden, das wir sind, heis-
sen, so die Unmittelbarkeit des sinnlichen Daseins in den Instinkten und Antrieben
der Daseinsbehauptung, - die Evidenz des Widerspruchslosen als Erwartung der Wi-
derspruchslosigkeit des Wahren und als Glaube an die Unmöglichkeit des Wider-
spruchs in der Wirklichkeit, - die Überzeugung in Ideen als Glaube an die in der Welt
dem eigenen Verhalten entgegenkommenden Ideen.
Das Wort »Glaube« wird tatsächlich aus philosophischer Verworrenheit ununterschie-
den in so vielfachem Sinne gebraucht. Was mit dem Anspruch: ich glaube! auftritt, hat
daher heterogene Ursprünge: z.B. den Glauben an das Gelingen des eigenen Tuns, und
diesen Glauben wieder im Daseinskampf, im Erkennen, in der Ideenverwirklichung; - den
Glauben an Aufgaben, die mir gestellt sind (der Berufsgedanke als Glaube an meine Be-
stimmung); - den Glauben an das Sein, das ist und durch das ich bin (im Bezug der Exi-
stenz auf Transcendenz, aber auch im Bezug meines Bewusstseins auf Realität).
Von allen diesen Weisen des Glaubens ist wiederum zu unterscheiden der philoso-
phisch zuletzt unerhellbare Glaube im religiösen Sinn. Was er eigentlich sei, wird Phi-
losophie nicht von innen entscheiden können. Jedenfalls aber ist ein ursprünglich
sinnverschiedener Glaubensakt und Glaubensgehalt etwa im Glauben an die Wunder
im neuen Testament, im Glauben an das Heilsgeschehen im Opfertod Christi, im Glau-
ben an Gott. Von aussen gesehen ist religiöser Glaube Glaube an ein specifisch Heili-
ges in der Welt, an abgegrenzte Offenbarungen, an den realen Sinn von Kulthandlun-
gen, an heilige Gegenstände und Institutionen, wie die Kirche.
 
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