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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0102
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Grundsätze des Philosophierens

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Begreifen, das Gute im Verhalten, Tun, Bewirken. Dieser Unterschied trennt in den
Vordergründen, was in der Tiefe verbunden ist.
Man kann sagen: das Wahre ist das Gute, das Gute ist das Wahre. Kein Tun ist ohne
Wissen und kein Wissen ohne Tun. Soviel Begriffe des Wahrseins es gibt, soviel Begriffe
des Guten. Daher ist das Gute das Sein aus allen Weisen des Umgreifenden, das wir
sind: Daseinsglück, Bewusstseinsrichtigkeit, Erfülltheit der Ideen, der unbeirrbare Ent-
schluss der Existenz, die Offenheit der Vernunft.
Das Gute ist als das eine Gute schlechthin das Allumgreifende, in dem alles beson-
dere Gute enthalten sein muss. Dieses Gute ist nicht als Gegenstand zu bestimmen, nicht
technisch zu errechnen, nicht als Recept auf die Frage: was soll ich tun? anzugeben.
Das Gute ist in dem Ganzen, das in der Hierarchie der Weisen des Umgreifenden
durchgehends sich verwirklicht derart, dass alles Gute unter der Bedingung des unbe-
dingten Guten steht. Dieses aber ist das in dem Bezug auf Transcendenz - im Gehor-
sam gegen Gott -, aus der Liebe der Existenz durch den Entschluss sich in Gestalten
der Welt realisierende Tun. Es hat Mangel, wo ein Glied der Weisen des Umgreifenden
ausfällt oder nicht zu seinem Rechte kommt.
Ist das Gute und Wahre das Ganze, so ist es als einzelnes nicht endgiltig bestimm-
bar. Wollen wir es umkreisen, so treffen wir es in dem, was wir eigentlich sind, wenn
es als das eine und ganze Wahre und Gute uns begegnet: Wir nennen es Liebe, diese
Hingerissenheit vom Sein im Seienden, diese Erfülltheit unseres Wesens, - wir nennen
es Vernunft, diese Bewegung der Wahrhaftigkeit, welche alle bestimmte und daher un-
genügende Wahrheit überschreitet, - wir nennen es Humanität, das[,] was wir werden
können, wenn wir miteinander eigentlich Menschen sind.
d. Das Wahre und das Falsche. - Das Wahre und das Gute sind erfüllt und daher po-
sitiv. Aber mit dem Positiven erblicken wir ein Negatives. Wo wir Wahres ergreifen,
verwerfen wir Falsches; wo wir gut handeln, verwehren wir das Böse. Aus der Gegen-
sätzlichkeit des Positiven und Negativen kommen wir nicht heraus.
Das eine Wahre und das eine Gute aber müssten wir gegensatzlos denken, denn nur
im Gegensatzlosen wäre es ohne Mangel. Doch als gegensatzlos wird es uns undenk-
bar. Dies Transcendente wird nur im Nichtdenkenkönnen und in der Erfahrung zeit-
loser Unmittelbarkeit gewiss.
Da in der Welt das Wahre wie das Gute uns im Gegensätzlichen erscheint, sind wir
eindeutig nur, wo im entschiedenen entweder-oder das eine wahr, das andere falsch
ist. Aber unser Weg in der Wahrhaftigkeit hat solche ausschliessende Gegensätzlich-
keit immer nur als Schritt oder als Stufe. Es zeigt sich, dass das Unwahre ein Moment
des Wahren, das Böse ein Moment des Guten haben kann, vor allem umgekehrt, dass
das reine Wahre und das reine Gute in der Zeit auszubleiben scheint. Es zieht uns an
in der Bewegung des Gesuchtwerdens.
 
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