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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0124
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Grundsätze des Philosophierens

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Gleichnis in aesthetischer Haltung, wird zur Wirklichkeit durch die Existenz, welche
wahrhaft in ihm lebt.
Symbole erscheinen unserer Phantasie; sie offenbaren die durch Phantasie ergrif-
fene Wirklichkeit; sie sind unersetzlich; in ihnen kommt Kraft und Reichtum unseres
Wesens zum Bewusstsein. Lebendige Wirklichkeit in Symbolen entzieht sich der Fixie-
rung (als solche wird sie zum Inhalt von Aberglauben). Vielmehr sind die Bilder unab-
lässig in Verwandlung, sind in ihrer Bedeutungsfülle ins Unendliche neu und anders
verstehbar, entbehren der scharfen Begrenzung, sind, wenn ich sie wissen will, unfass-
lich in ihrer Wirklichkeit, sind aber, wenn ich von ihnen ergriffen bin, hinreissend; sie
tragen, beruhigen und bergen mich, indem sie offenbaren, was ist.
Aber Bilder täuschen, wenn ich in ihnen als der einzigen Wirklichkeit lebe, d.h.
wenn ich in ihrer Seinsoffenbarung das Sein selbst und im Ganzen zu haben meine.
Über und vor allen Bildern liegt die Möglichkeit des Spirituellen. Es ist entscheidend
für die Weise meines Seinsbewusstseins, dass ich im Bildhaften für dieses Spirituelle
offenbleibe. Dass dieses ist, zeigt sich an der Unmöglichkeit, durch Gestalten der Kunst
letzte Befriedigung im Ernste zu erfahren. Kunst kann entweder verführen, im Ab-
schluss einer Vollendung zu verharren durch aesthetische Haltung statt im Verschwin-
den die Vollendung selber als ein Symbol zu erfahren, oder Kunst zeigt auf den Weg
an ihrer Grenze. Sie wird in dem Masse spirituell[,] wie sie als Kunst zugleich versagt.
Hohe Kunst weiss sich als vordergründlich gerade dann, wenn sie das Tiefste berührt.
Sie macht durch sich selber fühlbar, dass das, was eigentlich ist, sich der direkten Dar-
stellung entzieht. Shakespeare ist der grosse Dichter, der im Gestalthaften sich nicht
vollendet, der die einzig vollen und klaren Gestalten seiner Welt sich zugleich auflö-
sen lässt in einem durch ihn fühlbar werdenden Umgreifenden. Durch seine Darstel-
lung selber macht er offenbar, dass ist, was er nicht darzustellen vermag. Das eigentli-
che Sein bleibt unbildhaft, wenn es ursprünglich gegenwärtig und wirksam ist, und
das schlechthin Unbildhafte ist nicht direkt darstellbar.
Zwar kann Philosophieren auch zur Kunst drängen. Denn in der Welt der Phanta-
sie lebt aus sinnlicher Fülle mit unmittelbar beschwingender Macht, was ich erfahren
haben muss, um gehaltvoll denken zu können. Für viele Menschen und in gewissen
Zuständen vielleicht für alle gilt: Ohne die Welt der Kunst ist auch das Bildlose nicht
zu ergreifen; Verlust an Kunstgehalten bedeutet auch Verarmung der Gegenwärtigkeit
des Bildlosen. Aber philosophisch liegt dann alles daran, durch die Kunst mit der Auf-
nahme ihrer Gehalte zugleich zur Erfahrung der Überwindung der Kunstwahrheit zu
gelangen, d.h. wirklich zu werden, statt aesthetisch zu werden und dies mit dem phi-
losophischen Gedanken zu durchleuchten. Aber dem ganzen grossartigen Wege des
Bildhaften gegenüber ist auch für den an ihm Teilnehmenden3 nicht zu vergessen: we-

Teilnehmenden nach der Abschrift A. F. statt teilnehmenden im Ms. und in der Abschrift Gertrud Jaspers
 
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