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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0132
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Grundsätze des Philosophierens

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frühen Buddhismus und im Urchristentum. Die Welt bewirkt nur Haften an ihr, täuscht
nur und verstrickt, hiess es in Indien, - die Welt wird in Kürze, noch in dieser Genera-
tion, untergehen, es lohnt nicht mehr um sie, alles kommt allein darauf an, was aus
dem Menschen beim Weltuntergang in der Ewigkeit wird, so hiess es im Urchristen-
tum. Beide Male gab es keine Forschung in der Welt, sondern nur phantastische mythi-
sche Vorstellungen von Welten, Götterhimmel, Geistern und Dämonen, von Äonen,
magischen Wirkungen, Prophetien usw. Solche phantastischen Grundlagen und irren-
den Zielsetzungen eines Weltverlassens konnten nicht festgehalten werden.
b. Weltüberwindung in der Weltverwirklichung: Für unser zeitliches Dasein ist
Wirklichkeit nur in der Welt. Nur durch die Realität des Daseins ergreifen wir auch die
transcendente Wirklichkeit. Aus der Welt zu treten - es sei denn im vorübergehenden
Ausholen zu dann umso entschiedenerer Erfassung der Weltwirklichkeit -, führt ins
Nichts. Aber nicht der Bestand von Welt[,] sondern das Verschwinden in der Welt, das
Scheitern, ist die am tiefsten die transcendente Wirklichkeit offenbarende Realität. Da-
her ist alles Weltdasein zweideutig, als blos empirische Realität ist es ohne Wirklich-
keit, als Wirklichkeit ist es nicht nur Realität. Alles Eigentliche in der Welt ist ein Zwi-
schensein, ist Realität und zugleich Wirklichkeit, das eine nicht ohne das andere.
Obgleich es fasslich ist nur als Realität, ist es als solche verschwindend; obgleich es aus
dem Grunde erfahrbar ist als Wirklichkeit, ist es als solche doch unfasslich, weltfrei,
d.h. ewig. Kurz: in der Welt spricht die Wirklichkeit eines Anderen, das hier erscheint.
Diese unser In-der-Welt-Sein charakterisierende Spannung umkreisen wir mit notwen-
dig dialektischen Erörterungen:
aa. Zeit und quer zur Zeit: Worauf es ankommt in der Welt, ist keine bleibende Voll-
endung in der Welt. Denn was eigentlich wirklich ist, ist nicht am Ende, sondern im
ganzen Verlauf der sich entfaltenden Erscheinung. Unser Zweckwollen, gerichtet auf
Ziel, Ende und Vollendung, auf Dauer in der Zeit, hat die Tendenz, uns in die empiri-
sche Realität zu ziehen, indem es diese in das Ziel verlegt. Aber sobald dieses Zweck-
wollen absolut wird, muss es das Eigentliche verdecken. Denn die Dauer in der Zeit
wird eine Täuschung, die uns das Ewige verschleiert; es ist ein täuschender Glaube, im
Nachwirken nach dem Tode, in Werk und Tat sei etwas für immer erreicht. Darin ist
die Zeit bis zum Verschwinden - und seien es ein paar kümmerliche Jahrtausende -
nur ein wenig verlängert. »Für immer« ist allein das Wirkliche, das quer zur Zeit jeder-
zeit sein kann. Das Ende gehört selber zur zeitlichen Erscheinung jeder Wirklichkeit,
sei die Zeit kurz oder länger.
Jede Vollendung ist partikular und muss vergehen. Aber in solcher Vollendung
kann gerade durch ihre Vergänglichkeit das Ewige sich zeigen. Daher kann die plötz-
liche Vollendung, das Aufleuchten, das schon im Bewusstwerden vergangen ist, eigent-
liche Wirklichkeit zeigen; die augenblickliche Vollendung, etwa in schnell welkenden
Blumen, kann Symbol sein für die Erscheinung solcher eigentlichen Wirklichkeit.
 
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