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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0146
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Grundsätze des Philosophierens

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im Weltbild des geschlossenen Kosmos lag. Die Universalität der modernen Wissen-
schaft war dagegen nicht das systematische Wissen vom Ganzen (wenn auch die Form
griechischer Wissenschaft als Störung eigentlicher Wissenschaft und als eine die mo-
dernen Ergebnisse in ihrem Sinn verkehrende Denkgestalt für das durchschnittliche
Denken bis heute herrscht), sondern die Offenheit nach allen Seiten, die Bereitschaft,
alles, was ist, dem wissenschaftlichen Forschen zugänglich zu machen, in den unend-
lichen Raum des Seienden mit immer neuen, auf den vorhergehenden aufbauenden
Versuchen entdeckend einzudringen, Ungeahntes aus der Verborgenheit hervorzuho-
len, statt eines Kosmos vielmehr in der ungeschlossenen Welt die Idee eines »Kosmos«
der wissenschaftlichen Methoden und der Wissenschaften in ihrem systematischen
Zusammenhang zu verwirklichen.
Mit der Unbefangenheit des Forschens erwuchs die Klarheit über das Mannigfal-
tige des Wirklichseins, über die Sprünge zwischen den Weisen der Realität - dem Leb-
losen, dem Lebendigen, der Seele, dem Geist - und ein methodisches Bewusstsein der
Kategorien, durch die wir zu denken und zu erkennen vermögen. Statt der anfänglich
in der mathematischen Naturwissenschaft vollzogenen Beschränkung des Verstandes
auf Kategorien des Mechanismus, auf die formale Logik, auf die empirische Realität
im quantitativen Sinne der Messbarkeit und Zählbarkeit, statt dieser Entleerung der
Welt zu dem, was als verstandesbegreifbar zu »machen« ist, werden die Kategorien
nach allen Seiten zur Klarheit gebracht, geschieden, werden Verwechslungen ver-
wehrt, aber nicht kategoriale Bereiche vernichtet. Überall wird nur der Sinn des Allge-
meingiltigen und Zwingenden als solcher herausgehoben und abgegrenzt.
3: Abgrenzung des Begriffs von Wissenschaft: Alle Wissenschaft meint das Allge-
meingiltige, will das zwingend Gewisse, geht einen methodischen Weg und sucht ein
kritisches Bewusstsein ihres Weges. Aber erst die moderne Wissenschaft verfährt in all
diesem völlig consequent. Während vorher durchweg und in weitem Umfang bis heute
sich mit der Wissenschaft unkritisches Denken, ungeprüfte Phantasie und unbegründ-
barer Glaube, die Subjektivität von Tendenzen verknüpfen, arbeitet sich in der moder-
nen Welt die Begrenzung der Wissenschaft auf das zwingend Allgemeingiltige, metho-
disch Bewusste und kritisch Durchsichtige erst völlig heraus. Die moderne Wissenschaft
grenzt sich ab. Sie ist noch nicht da als das Denken überhaupt, das als allgegenwärtige
Rationalität schon mit der ersten Vergegenständlichung, schon mit der Sprache des
Menschen beginnt. Sie ist auch noch nicht die Intellektualisierung des Gedachten in
den Zusammenhängen logischer Schlussketten. Sie ist auch noch nicht die rationale
Ordnung von Begriffen und von Erscheinungen in der Welt. Weiter unterscheidet sich
moderne Wissenschaft von der Philosophie. Wenn bei neueren Philosophen noch lange
alles methodische Denken schon oder noch als wissenschaftlich galt, scheidet die neue
Wissenschaft das auf Gegenstände in der Welt - auf Realitäten und auf ideale Gegen-
stände der Mathematik - gerichtete Erkennen vom transcendierenden Denken, das ihr
 
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