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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0176
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Grundsätze des Philosophierens

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Anders der Mensch als Geist und Existenz. Ihn zu verstehen, setzt Psychologie vor-
aus, aber geschieht nicht durch Psychologie, sondern in der Möglichkeit der Commu-
nication: wenn ich hier verstehe, werde ich selbst ein anderer.
2. Das Subjekt im Objekt: Das Objekt ist um so distancierter, je mehr es nur Objekt
des Bewusstseins überhaupt, mit einem Minimum von Material aus anderem Umgrei-
fenden, ist. Das Objekt ist um so näher, je mehr das Subjekt des umgreifenden Daseins,
der Seele, des Geistes, der Existenz in ihm gegenwärtig ist, je mehr es als Objekt durch
diese Subjekte angeeignet werden muss, um für das Bewusstsein überhaupt Objekt wer-
den zu können.
Aber alle Objekte sind distaneiert, sofern keines ohne Bewusstsein überhaupt Ob-
jekt werden kann. Und die durch Subjektivität erfüllten Objekte besitzen eine neue
specifische Objektivität durch die Wahrheit der Subjektivität. Wie Kant die Subjekti-
vität des Bewusstseins überhaupt in der Objektivität der Erkenntnis begriff, so liegen
in dem Material dieser Erkenntnis die Objektivitäten aus allen umgreifenden Subjek-
tivitäten. Auch in der Objektivität des Mythus, der Kunst liegt die zugehörende Sub-
jektivität. So sagt treffend Preetorius: »Der Rang eines Wahren ist umso höher, je sub-
jektiver sein Objektives, je objektiver sein Subjektives ist.«148
Man hat gesagt: Es gibt keine objektive Wissenschaft; alle Geschichtsauffassung ist
subjektiv; Wissenschaft ist Waffe im Kampf mit anderer Subjektivität; die Subjektivi-
tät ist das Leben der Wissenschaft (und entsprechend ist die Objektivität der Kunst,
des Mythus usw. geleugnet). Gegen diese Verkehrungen ist - im Bereich wissenschaft-
licher Erkenntnis - zu sagen:
Erstens gibt es die Objektivität der Dokumente. Man kann sie vernichten, ver-
schweigen, entstellen, erfinden. Jedesmal ist eine falsche, zu entlarvende Subjektivi-
tät am Werke, die nur täuscht, aber keinen Teil hat an der Objektivität.
Zweitens gibt es die Objektivität gemeinten Sinns. Was Menschen bewusst gedacht
und bezweckt haben, ist bei genügenden Äusserungen und Berichten weitgehend fest-
stellbar.
Drittens gibt es die Objektivität der Sache. Was in einer Sache liegt, die »Natur der
Sache«, die Bewegung der Ideen, der Gehalt eines offenbar werdenden Transcenden-
ten, das ist zwar nur bei voller Teilnahme aneignender, selbst darin zu sich kommen-
der Subjektivität erfassbar, ist dann aber in der Objektivität eines aus dem Umgreifen-
den sich zeigenden Inhalts.
3. Verstehen ist ein Faktor der geistigen Wirklichkeit selber: Geisteswissenschaft
bringt verstehend zum Bewusstsein, was dann selber wiederum Glied geistiger Bewe-
gung wird. Das Subjekt steht in einer Objektivität, zu der es selber mit gehört.
Geistiges Geschehen ist ein im Verstehen sich verwandelndes Geschehen. Es
kommt in der Bewegung heraus, was in der Sache liegt.
 
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