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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0189
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186

Grundsätze des Philosophierens

mit ihnen gemeinsamen Bewusstseinszustand des Bewusstseins überhaupt geben, ent-
sprechen ihren sich verwandelnden Bewusstseinszuständen verschiedene Seinsweisen
und Welten. Diese Welten werden im Gang von Stufe zu Stufe der Versenkung zugäng-
lich. Es ist nicht zu leugnen, dass Menschen von Rang hier Erfahrungen gemacht haben,
deren Wirklichkeitscharakter ihnen unbezweifelbar war; ferner, dass trotz grundsätzli-
cher Unmitteilbarkeit im allgemeinen Wachzustande doch endlose Beschreibungen und
Mitteilungen erfolgt sind; schliesslich[,] dass diese Mitteilungen in der geistigen Welt
des Wachens Bedeutung für den Glauben und dass sie Folgen für geistiges Tun hatten.
Aber es bleibt doch das Eigentümliche, dass der Mensch als Einzelner, incommunika-
bel, in Verwandlung seines Bewusstseinszustandes vorübergehend diese Zustände als
Mittel eines Innewerdens, Erfahrens, Wahrnehmens benutzt derart, dass im communi-
cablen Bewusstseinszustand normalen Wachens nur Erinnerung, aber keine Nachprüf-
barkeit und keine faktische Realität besteht. Es handelt sich in der Tat um andere Wel-
ten für die Subjektivität anderer Bewusstseinszustände. In der Welt unseres Bewusstseins
überhaupt vermögen sie keine Erkenntnis zu verschaffen. Sie sind vielleicht ein Mehr
als Wissen, aber ein solches, das keine Verbindung mit unserem Wissen in der Welt ein-
gehen kann, äusser in Täuschungen bei kritikloser Haltung.
Mit diesen Meditationsstufen sind nicht zu verwechseln und kaum zu vergleichen
die radikal anderen Verwandlungen des Bewusstseins, welche innerhalb des Wachens
in der biographischen und in der historischen Kontinuität geschehen; auch sie brin-
gen Sinnverwandlungen unseres Seinswissens und damit des Seinsbewusstseins. Sie
sind von den vereinzelnden psychischen Bewusstseinszuständen, in deren Verwand-
lung Sein bewusst wird, zu unterscheiden als geschichtlich erwachsene communica-
tive Bewusstseinshaltungen von Menschengruppen, Zeitaltern, Persönlichkeiten, wel-
che das Ganze ihres Seinswissens und ihrer Denkungsart ausmachen.
So gibt es erstens die Verwandlung der Bewusstseinshaltung der einzelnen Men-
schen. Sie geschieht durch die Folge der Stufen im Lernen und Üben von Auffassun-
gen, von Operationen und Methoden des an sich gleichen Bewusstseins, ferner in den
Stufen der Bildung der Gehalte des geistigen Lebens. Zweitens gibt es das historische
Auseinanderhervorgehen der Bewusstseinshaltungen von Zeitaltern - im Sinne He-
gels. Hier lässt sich das historische Nacheinander von Weltbildern3, Denkungsweisen,
lassen sich die Formen und Stufenordnungen des jeweils erreichten Grundwissens, die
ihm gütigen Kategorien und deren Ordnung erblicken und konstruieren. In beiden
Fällen - in den Entwicklungen der einzelnen Menschen und in den Folgen der histo-
rischen Zeitalter - gibt es innerhalb des umgreifenden Processes, der im Ganzen uner-
kennbar und von aussen unübersehbar bleibt, das Wachsen und Reifen, das dialekti-
sche Auseinanderhervorgehen.

Weltbildern nach der Abschrift A. F. statt Weltbilder im Ms.
 
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